Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Turnplätze und Turnfahrten. 387 
Kamaschendienst des alten Heeres und besaß weder die Bildung noch die 
Beweglichkeit des Geistes um die Bedeutung des neuen Wehrgesetzes zu 
verstehen. Da nach dem Frieden manche unnütze Paradekünste wieder 
aufkamen und die eleganten Gardeoffiziere Berlins die langhaarigen 
Rüpel der Hasenhaide ersichtlich nur mit mäßigem Wohlgefallen betrach— 
teten, so meinte Jahn, die Armee sei wieder in den Zustand von 1806 
zurückgesunken, und polterte nach seiner alten Weise wider „die gewor— 
benen Söldnerscharen, die auf dem Prahlplatze gedrillt werden“. Die 
gedankenlose Jugend verfiel natürlich nicht auf die einfache Frage: wo 
denn in Preußen die geworbenen Söldnerscharen sein sollten? — son— 
dern ging gelehrig auf den Hohn ein und sang jubelnd: 
Es hat der Held- und Kraft-Uhlan 
Sich einen Schnürleib angetan, 
Damit das Herz dem braven Mann 
Nicht in die Hosen fallen kann. 
Die Turnplätze wurden die fruchtbaren Heimatstätten jener Partei— 
legenden, welche dem Volke die Geschichte seines Befreiungskrieges ver— 
fälschten: nicht die Künste der Männer des Korporalstockes, sondern die Begei— 
sterung der Landwehr, des Landsturmes und vornehmlich die Freischaren 
hatten den Sieg errungen. Alle die Großtaten, welche Jahn mit seinen 
Lützowern vorgehabt aber leider nicht zustande gebracht hatte, vollendeten 
sich jetzt nachträglich in den prahlerischen Gesprächen seiner Turngenossen. 
Wer diesen Kraftmenschen glaubte, mußte die Uberzeugung gewinnen, 
daß beim nächsten Einfall der Franzosen die deutsche Turnerschaft nur 
eine einzige ungeheuere Bauchwelle zu schlagen brauchte um den Feind zu 
zermalmen. „Wir Sturmerprobten“, versicherte das Turnlied, „wir zittern 
vor Söldnerschlachten nicht" — und wieder: 
Sold mag hinaus senden zum Strauß 
Buntes Gewürme: 
Türme und Stürme 
Sind wir, die Zügel und Flügel im Strauß! 
Wie mit dem Heere, so wollte Jahn auch mit den Schulen nichts 
gemein haben: seine Turnplätze sollten eine Welt für sich bleiben, die 
Pflegestätten der Deutschheit, durchaus von seinem Geiste erfüllt. So 
fromm und ehrlich er war, die unmäßige Bewunderung, die ihm von so 
vielen begabteren Männern gespendet ward, brachte ihn doch aus dem Gleich- 
gewichte. Mußte er sich nicht endlich selber für den Schutzheiligen der 
deutschen Jugend halten, seit Schenkendorf über das schöne Lied: „Wenn 
Alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“ die Aufschrift gesetzt hatte: 
„Erneuter Schwur an den Jahn!“ Da stand es ja klärlich zu lesen, 
daß wenn alle falschen Götzen trauen, der Jahn allein und seine Ge- 
treuen noch „predigen und sprechen vom heiligen deutschen Reich". Zwei 
Universitäten, Jena und Kiel, sendeten ihm fast gleichzeitig ihr Doktor- 
diplom und feierten mit dem ganzen Pompe akademischer Amtsberedsamkeit 
25*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.