Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

396 II. 7. Die Burschenschaft. 
Max die Augen schloß, war Kurfürst Friedrich der Weise das Haupt 
unseres Fürstenstandes, der Führer der Reformpartei im Reiche, und es 
lag in seiner Hand, der Nation ein deutsches, ein evangelisches Kaiser— 
tum zu schaffen; er aber wies die Krone zurück, denn „die Raben wollen 
einen Geier haben“. Seinen beiden Nachfolgern bot eine seltene Gunst 
des Glücks wieder und wieder die Gelegenheit das Versäumte nachzu— 
holen. Auf jedem Reichstage blickte das Volk erwartungsvoll nach dem 
Pfauenfederhelmbusch der Ernestiner. Bei dem Protest von Speyer, bei 
der Übergabe der Augsburger Konfession, überall wo es nur gilt ein 
Zeugnis abzulegen für das Wort Gottes, da stehen sie „wohl auf dem 
Plan“ und bewähren ihren ehrenfesten Wahlspruch: „gradaus gibt einen 
guten Renner.“ In ihrem Lande bildet sich die erste evangelische Landes— 
kirche, unzertrennlich verwächst ihr Name mit allen großen Erinnerungen 
des Protestantismus. Doch über die passiven Tugenden der Standhaf— 
tigkeit und Treue reicht ihre Begabung nicht hinaus. Der einzige Ent— 
schluß, der retten kann, der Entschluß zum offenen Kampfe wider die 
spanische Fremdherrschaft wird in gewissenhafter Bedachtsamkeit und träger 
Tatenscheu verschoben und verschoben, bis endlich die beispiellose poli— 
tische Unfähigkeit des phlegmatischen Zauderers Johann Friedrich der über- 
legenen Staatskunst der Habsburger und der Albertinischen Vettern kläg- 
lich erliegt. 
Kaum ein Menschenalter nach jener kleinmütigen Entsagung Kur- 
fürst Friedrichs bekommen seine Enkel selber die scharfen Fänge des his- 
panischen Geiers zu spüren; der Kurhut mitsamt den alten wettinischen 
Stammlanden geht an die Albertiner verloren, und die Vormacht der deut- 
schen Protestanten trägt aus dem schmalkaldischen Kriege statt der Lorbeeren 
des Helden nur die Märtyrerkrone des Bekenners davon. Ein unheim- 
licher Anblick, wie die gedemütigte glorreiche Dynastie nunmehr, nach 
einem schwächlichen Versuche der Wiedererhebung, sich so gelassen in die 
neuen kümmerlichen Verhältnisse findet und, jedes politischen Gedankens 
bar, ganz befangen in kleinbürgerlichen Hausvatersorgen, die geretteten 
Trümmer ihrer alten Macht durch eine endlose Reihe von Teilungen und 
Mutschierungen so lange zerstückelt bis sie schließlich auf die unterste Stufe 
des deutschen Fürstenstandes herabsinkt. Auch die in Thüringen abge- 
fundenen Nebenlinien der Albertiner verfallen der gleichen Verblendung. 
Immer neue Linien entstehen und verschwinden wieder, die thüringischen 
Lande sind in ewiger Bewegung wie die walzenden Grundstücke einer 
Dorfflur; in anderthalb Jahrhunderten wechselt die Herrschaft Römhild 
fünfmal ihren Herrn, mit jener neuen Teilung verwirren und verfitzen 
sich die Grenzen, in Ruhla scheidet ein Bach mitten in der Dorfstraße 
weimarisches und gothaisches Gebiet, und der Jenenser Student kann auf 
einer kurzen Nachmittagswanderung leicht mit der Polizei von drei oder 
vier Landesherren in Händel geraten.
	        
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