Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Weimarische Presse. 407 
Einbruch des Professorentums in die deutsche Politik. Luden hatte schon 
während des Krieges seine Nemesis gegründet, zunächst zur Bekämpfung 
der Fremdherrschaft, und fügte jetzt noch ein Staatsverfassungs-Archiv 
hinzu; dann folgten Okens Isis und das Weimarische Oppositionsblatt; 
Bran begann die Fortsetzung der alten Archenholtzischen Minerva; der 
aus Heidelberg vertriebene Jurist Martin brachte seinen Neuen rheinischen 
Merkur mit nach Jena; Ludwig Wieland, der warmherzige, federgewandte 
Sohn des Dichters, gab einen „Volksfreund“ heraus, der zur Beruhigung 
der polizeilichen Seelenangst seinen staatsgefährlichen Namen bald ablegte 
und als „Patriot“ weiter erschien. Und diese überfülle journalistischer 
Tätigkeit drängte sich in zwei kleinen Städten zusammen, in einer rein 
literarischen Luft, wo schlechterdings nichts an den Ernst des Staatslebens 
erinnerte, wo die Presse weder zuverlässige Nachrichten über den inneren 
Zusammenhang der Tagesereignisse erhielt, noch an einer politischen Partei 
oder einem wirtschaftlichen Interesse irgend einen Rückhalt fand. In 
glücklicher Unkenntnis der wirklichen Welt konnte hier der reine Doktri— 
narismus sich seiner „Uberzeugung“ erfreuen und mit der Miene der 
Unfehlbarkeit seine Kathedermonologe halten. Alle diese Blätter erhoben 
den Anspruch, der ganzen Nation als Lehrer zu dienen, denn es war der 
Stolz des Professors, daß die praktische deutsche Einheit allein in den 
Universitäten sich zeigte; und da nun das freie Wort, das an der Ilm 
und Saale erklang, den Argwohn der Höfe erweckte, die gesamte reak- 
tionäre Partei, wie Luden sagte, ihre Blicke angstvoll auf die Höhen des 
schönen Thüringens richtete, so schwoll das Selbstgefühl der akademischen 
Publizisten bald bedenklich an, und sie meinten alles Ernstes, ihr deutsches 
Athen bilde den Mittelpunkt der nationalen Staatskunst. Von dem gründ- 
lichen Fleiße deutscher Gelehrsamkeit war in diesen politischen Schriften 
nichts zu spüren. In der Wissenschaft ward alle Pfuscherarbeit verachtet, 
über die Staatsmänner durfte jeder zu Gericht sitzen, wenn er gelegent- 
lich in einer verlorenen Stunde die Zeitungen las. 
Ludens Nemesis stand tief unter den weit weniger verbreiteten Kieler 
Blättern. Während Dahlmanns Zeitschrift in gediegenen historischen und 
staatsrechtlichen Erörterungen ihren Lesern die sachliche Belehrung bot, 
deren dies unreife Geschlecht vor allem bedurfte, brachte Luden fast durch- 
weg nur leere Allgemeinheiten oder oberflächliche kritische Bemerkungen 
über kleine Tagesereignisse; und obwohl er selbst nicht zu den Bekennern 
des Rotteckschen Vernunftrechts gehörte, sondern den Staat historisch zu 
verstehen suchte, so lief doch die ganze Weisheit der Nemesis immer wieder 
auf den Art. 13 der Bundesakte hinaus, der ihr als das einzige Mittel 
um eine Revolution von Deutschland abzuwenden erschien: „Nur gehalten 
was so heilig versprochen wurde! O Ihr Fürsten, wolltet Ihr diese, nur 
diese Ausübung ganz gewöhnlicher Tugend!“ Seit Jahren galt Luden 
als der beliebteste Dozent in Jena; seine Vorlesungen über deutsche Ge-
	        
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