Teutonentum und Judentum. 417
krieges alle Geheimnisse des deutschen Gemüts an den Tag brachte, so
ward in der allgemeinen Gärung auch der alte tiefe Widerwille gegen
das orientalische Wesen wieder laut. Von Luther an bis herab auf Goethe,
Herder, Kant und Fichte waren fast alle großen germanischen Denker in
dieser Empfindung einig, Lessing stand ganz vereinzelt mit seiner Vor—
liebe für die Juden. Unmittelbar nach dem Frieden begann ein heftiger
Federkampf über die Stellung der Juden, der fünf Jahre hindurch den
deutschen Büchermarkt mit einer Masse von Flugschriften bedeckte und
namentlich von der Jugend mit leidenschaftlicher Teilnahme verfolgt
wurde. Seit Moses Mendelssohns segensreichem Wirken hatte sich ein
Teil der deutschen Judenschaft mit gutem Erfolge bemüht, die breite
Kluft, welche ihren Stamm von deutscher Sitte und Bildung trennte,
endlich zu überbrücken. Viele der angesehenen jüdischen Familien in den
großen Städten waren schon durchaus germanisiert. In der Berliner
Synagoge wurde seit dem Anfange des neuen Jahrhunderts deutsch ge-
predigt, die Leipziger und einige andere Gemeinden folgten nach. Dann
sorgte Israel Jakobson, der Stifter der großen Seesener Schulen, für
eine würdigere Form des Gottesdienstes, und der wackere David Fried-
länder mahnte seine Stammgenossen in den „Reden der Erbauung“: nur
wenn sie mit ganzem Herzen sich die deutsche Kultur aneigneten, könnten
sie sich den Anspruch auf vollständige Emanzipation erwerben. Die Masse
der deutschen Israeliten, vornehmlich in den polnischen Grenzprovinzen,
befreundete sich nur langsam mit diesen Reformgedanken; sie steckte noch
tief im Schacher und Wucher, in dem finsteren Fanatismus des Talmud-
glaubens, in allen den Sünden uralter Knechtschaft. Als die Franzosen
einzogen, bekundete sich in manchen jüdischen Kreisen eine leicht erklärliche
Teilnahme für das Volk, das ihnen zuerst die volle Gleichberechtigung
geschenkt hatte, und Napoleon verstand dem jüdischen Kosmopolitismus ge-
schickt zu schmeicheln; das eifrigste Werkzeug der französischen Polizei in
Berlin war Davidsohn-Lange, der Herausgeber des berüchtigten „Tele-
graphen“.
Auch in dem Befreiungskriege zeigte nur ein Teil der Juden patrio-
tischen Eifer. Die Söhne jener gebildeten Häuser, die sich schon ganz als
Deutsche fühlten, taten ehrenhaft ihre Soldatenpflicht; aber viele andere
wurden durch Körperschwäche und tiefeingewurzelte Waffenscheu dem Heere
ferngehalten, manchen erschreckte auch der streng christliche Geist der großen
Bewegung. Von den Juden Westpreußens, die sich eben erst mühsam
aus dem polnischen Schmutze herausarbeiteten, war deutsche Gesinnung
billigerweise noch gar nicht zu erwarten; sie bekundeten eine solche Angst vor
dem Waffendienste, daß der König ihnen (29. Mai 1813) auf ihre drin-
genden Bitten den Loskauf von der Wehrpflicht gestattete, und dies Pri-
vilegium ward dann so massenhaft benutzt, daß ein großer Teil der Kosten
für die Einrichtung der westpreußischen Landwehr aus den jüdischen Los-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 27