Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Rühs und Saul Ascher. 419 
Feldzuge, daß bei Belle Alliance allein 55 jüdische Offiziere gefallen seien, 
während die preußische Armee dort insgesamt nur 24 Offiziere verloren 
hatte. Ein Dritter, der es offenbar wohl meinte, richtete ein „Freund- 
liches Wort an die Christen“ und meinte gemütlich: die eigensinnigen 
jüdischen Köpfe würden doch nicht von ihren alten Bräuchen lassen; am 
klügsten also, wenn die Christen um der Eintracht willen ihren Sonntag 
auf den Sabbath verlegten. Der jüdische Lehrer Heß in Frankfurt er- 
klärte alle seine christlichen Gegner einfach für Phantasten oder für Werk- 
zeuge eines gemeinen Eigennutzes.) 
Einem solchen Hochmut gegenüber konnten auch in dem anderen 
Lager ungerechte und gehässige Worte nicht ausbleiben; indes bewahrte 
die große Mehrzahl der christlichen Schriften eine würdige Haltung. Die 
Ideen Lessings hatten doch in der Stille ihren Weg gemacht; so grausam 
wie einst Fichte wollte jetzt kein Deutscher mehr über die Juden schreiben. 
Die Verständigeren gingen fast alle von dem Grundsatze aus, daß der Aufent- 
halt im Lande allein noch keinen Anspruch auf das Bürgerrecht gebezj sie 
wollten den Israeliten wohl die Gleichheit auf dem Gebiete des Privat- 
rechts zugestehen, aber nicht — oder doch jetzt noch nicht — das volle 
Maß der staatsbürgerlichen Rechte. Und so hart diese Meinung den ge- 
bildeten Juden erscheinen mußte, die Masse ihres Stammes befand sich 
damals unbestreitbar noch in einem verwahrlosten Zustande, der die 
vollständige Emanzipation nicht ratsam erscheinen ließ; richtete doch 
einer von ihnen selber an die deutschen Fürsten die wehmütige Bittte, 
durch Verbesserung des jüdischen Schulwesens „meine Nation aus der 
geistigen Trübheit zu erheben“. ) Das preußische Gesetz von 1812, das 
den Juden, mit Ausnahme der Zulassung zu den Staatsämtern, alle 
staatsbürgerlichen Rechte gewährte, ging über die engherzigen Vorschriften 
der meisten anderen deutschen Gesetze weit hinaus und bezeichnete un- 
gefähr das Maß dessen, was die Liberalen jener Zeit vorläufig für er- 
reichbar hielten; Hardenberg selbst, der Gönner Koreffs, der sich der 
Juden überall gütig annahm, wollte diese Grenze durchaus nicht über- 
schreiten. 
In diesem Sinne etwa sprach sich der Historiker Rühs aus, der den 
Reigen der antijüdischen Schriften eröffnete; ihm folgten Fries und Luden. 
Aber auch das radikale Oppositionsblatt schloß sich der Ansicht der christlich- 
germanischen Gelehrten an, desgleichen Paulus, der Führer des Ratio- 
nalismus, und Klüber, der weltlich liberale Publizist. Unter den nam- 
  
*) Saul Ascher, Germanomanie, Berlin 1815, Seite 67. Bemerkungen zu den 
Schriften der Prof. Rühs und Fries über die Juden, Frankfurt 1816, Seite 4. Ein 
freundliches Wort an die Christen von einem Juden, o. O. 1816. M. Heß, Freimütige 
Prüfung der Schrift von Rühs, Frankfurt 1816. 
*) Patriotischer Aufruf eines treuen Israeliten an die Fürsten Deutschlands, Bü- 
dingen 1816. 
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