Die Räumung Frankreichs. 445
Kränkung für den französischen Stolz. Alle Parteien der Opposition
lärmten gegen dies Königtum, das sich auf die Bajonette des Auslands
stützte; auch die Ultras entsannen sich nicht mehr, wie beweglich sie im
Jahre 1815 die verbündeten Monarchen beschworen hatten: „Ihr wollt
doch nicht den König allein in der Hand dieser Mörder lassen?“ — und
wetteiferten mit den anderen Parteien in zornigen Klagen wider die Herr—
schaft der Fremden.
Ohne die Befreiung des vaterländischen Bodens konnte Richelieu
die Politik der Versöhnung, die er mit so viel Klugheit und Selbstver—
leugnung begonnen hatte, nicht durchführen; diesen letzten Dienst wollte
er seinem Lande noch leisten um dann, des endlosen Parteikampfes müde,
zurückzutreten. Wieder und wieder bestürmte er die Gesandtenkonferenz
der Vier mit seinen Bitten und erinnerte sie daran, daß die Sieger selbst
in dem Pariser Vertrage sich die Verkürzung der Besetzungsfrist, falls
Frankreich ruhig bliebe, vorbehalten hatten. Im November 1817 ging
er noch einen Schritt weiter und verkündete den Kammern bei ihrer Wieder-
eröffnung, daß bereits Unterhandlungen wegen der Räumung des Ge-
bietes eingeleitet seien. Sämtliche Parteien empfingen die Nachricht mit
einem Sturm patriotischer Freude, und jedermann fühlte: wenn Richelien
die Erwartungen, die er geweckt, nicht zu befriedigen vermochte, dann
war seine gemäßigte Regierung, deren Fortdauer die vier Mächte ebenso
lebhaft wünschten wie König Ludwig selber, unrettbar verloren. In der
Gesandtenkonferenz fanden Richelieus Bitten zunächst nur bei Pozzo di
Borgo Gehör; der Korse blieb noch immer der vertraute Ratgeber der
Bourbonen und hatte sich in die Anschauungen seines Geburtslandes so
gänzlich wieder eingelebt, daß man jetzt zum zweiten Male ernstlich daran
dachte, ihm einen französischen Ministerposten anzubieten. Es fiel ihm
nicht schwer, seinen Kaiser, der so gern den hochherzigen Beschützer Frank-
reichs spielte, für seine Ansicht zu gewinnen. Unbekümmert um seine
Verbündeten ließ der Zar in Paris ermutigende Zusicherungen geben,
und Metternich, der anfangs jede Verkürzung der Besetzungsfrist weit
von sich gewiesen hatte, kam schon im Frühjahr 1818 zu der Einsicht, daß
alles Widerstreben vergeblich sei. Am 9. April gestand er dem preußi-
schen Gesandten, er sehe „den Tod im Herzen“ voraus, daß nach den
Kammerreden in Paris und dem einseitigen Vorgehen Alexanders die vor-
zeitige Räumung doch erfolgen werde.“)
Der Anblick der inneren Zustände Frankreichs konnte den ängstlichen
Staatsmann freilich nicht beruhigen. Wenngleich die Herrschaft der Ultras
endlich gebrochen war, so währte doch der Kampf der Parteien noch mit
der alten maßlosen Gehässigkeit fort, und noch immer hatte nur eine
kleine Minderheit der Franzosen den Rechtsboden des neuen konstitu-
*) Krusemarks Bericht, 9. April 1818.