Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Wiener Jahrbücher. 461 
heit erklärten, das will jetzt ein schwächliches Gelichter, oder alte Weiber 
die unglücklicher Weise Hosen tragen, für unwahr erklären, um sich ein 
mystisches Gewand aus alten verjährten Formen so recht bequem für ihre 
eigene Person und die liebwerte Familie zu machen.““) — 
So wurden dem Wiener Hofe alle Zeichen günstig. Noch bis gegen 
das Ende des vorigen Jahres hatte Metternich, aus Scheu vor der 
Empfindlichkeit der kleinen Höfe, jeden scharfen Eingriff in die deutsche 
Bundespolitik vermieden; jetzt schien ihm die Zeit gekommen für einen 
Feldzug wider die Demagogen. War erst die Quadrupelallianz auf dem 
Kongresse von neuem befestigt, so sollten die deutsche Presse, die Universi-- 
täten, die Turnplätze und wenn möglich auch die Landtage die Strenge 
des Bundesrechts empfinden. Um den Kampf für das Bestehende auch 
mit geistigen Waffen zu führen hatte Metternich soeben die Wiener Jahr- 
bücher der Literatur gründen lassen, da der Osterreichische Beobachter, 
wenn nicht Gentz einmal einen Aufsatz sendete, doch gar zu kläglich war, 
und Cotta in die Spalten der Augsburger Allgemeinen Zeitung außer 
den Zusendungen der Hofburg auch liberale Artikel aufnahm. Matthäus 
von Collin, der Bruder des Dramatikers Heinrich, ein harmloser, un- 
bedeutender Schriftsteller erhielt die Leitung, und es bezeichnet Metter- 
nichs wissenschaftliche Bildungsstufe, daß er selber den trivialsten aller 
deutschen Rezensenten, den durch Goethe und Schiller so köstlich ver- 
höhnten Magister Ubique, Karl Böttiger in Dresden aufforderte, dem „in 
echt gelehrtem, wahrhaft weltbürgerlichem Sinne“ geplanten Unternehmen 
als Kritiker zu dienen. Die reichen Geldmittel der Zeitschrift verschafften 
ihr zwar einzelne gediegene Beiträge, doch eine literarische Bedeutung er- 
langte sie niemals; wie hätte unter diesem geistlosen Regimente die leben- 
dige Wissenschaft gedeihen können? 
Gleich in den ersten Heften erschienen, zur Vorbereitung des Kampfes 
gegen die deutschen Zeitungen, zwei Abhandlungen von Gentz über die 
Preßfreiheit in England, die einzigen streng wissenschaftlich gehaltenen 
Arbeiten seiner späteren Jahre. Welch eine Wandlung seit jenem frei- 
mütigen Sendschreiben, in dem er vor zwanzig Jahren dem neuen Könige 
von Preußen den Segen der freien Presse erwiesen hatte. Wie viel reifer, 
erfahrener, kenntnisreicher erschien er jetzt, aber auch wie kalt, wie einseitig, 
wie glaubenlos und unredlich in seiner gewandten Rhetorik. Jetzt sollte die 
Preffreiheit nur noch ein relativer Begriff sein und unter der Zensur ebenso 
sicher ja noch sicherer bestehen können als unter der Gefahr nachträg- 
licher, gerichtlicher Bestrafung. Nach einer meisterhaften Darstellung der 
Geschichte der englischen Presse, wie nur er allein sie damals geben konnte, 
entwickelte er die leitenden Gedanken einer Doktrin, welche während eines 
Menschenalters der Grundirrtum ver deutschen Preßgesetzgebung ge- 
  
*) Boyen an Schön, 26. Okt. 1818.
	        
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