Widerhall in der Nation. 527
geschehen ist durch diesen reinen frommen Jüngling, mit diesem Glauben
mit dieser Zuversicht, ist sie ein schönes Zeichen der Zeit. Ein Jüngling
setzt sein Leben daran, einen Menschen auszurotten, den so viele als
einen Götzen verehren; sollte dieses ohne alle Wirkung sein?" Bis zu
diesem UÜbermaße der Verblendung gingen freilich nur einzelne; das vor-
herrschende Urteil in den gebildeten Klassen war doch, wie Görres offen
aussprach, „Mißbilligung der Handlung bei Billigung der Motive“.
Eine solche Verwirrung aller sittlichen Begriffe in einem ernsten Volke
würde unbegreiflich sein, wenn sie sich nicht aus der politischen Verstimmung
erklärte. Der allgemeine Mißmut über Deutschlands Ohnmacht hatte
sich endlich in einem gräßlichen Aufschrei Luft gemacht; den Patrioten
war, als ob der Mörder nur ausgedrückt, was in unzähligen Herzen
lebte. Auf Kotzebues Namen lastete eine ungeheure wohlverdiente Ver-
achtung. Alle Welt wähnte zudem, daß die deutsche Reaktion von Ruß-
land ausgehe, in einem Augenblicke, wo der Zar in Wahrheit nur sehr
geringen Einfluß auf Deutschlands Geschicke ausübte. In Kotzebue sahen
die Aufgeregten den Vertreter der russischen Macht auf deutschem Boden,
obgleich er am Petersburger Hofe gar nichts galt und, nach Kaiser Alexan-
ders bestimmter, durchaus glaubwürdiger Versicherung, sich selbst zur Er-
stattung seiner unnützen literarischen Berichte freiwillig angeboten hatte.“)
So erschien Sand wie der Wahrer des deutschen Hausrechts, seine Tat
wie ein feierlicher Protest der Nation gegen eine eingebildete Fremdherr-
schaft. Dann steigerte noch die unvermeidliche humane Grausamkeit der
modernen Rechtspflege das menschliche Mitleid mit dem Gefangenen.
Unter furchtbaren Schmerzen wurde ihm durch die Kunst der Arzte das
Leben noch über ein Jahr lang gefristet, bis endlich der berühmte Heidel-
berger Mediziner Chelius, nach seiner Pflicht, aber unter den Zornrufen
der teutonischen Jugend, den Ausspruch tat, daß Sand die Hinrichtung
aushalten könne. Schon in den ersten Wochen war das Gefängnis von
aufgeregten Volkshaufen umringt.) Je länger die Untersuchung währte,
um so lauter äußerte sich die Teilnahme für den frommen Dulder, der,
unbeugsam in seinem Wahne, alle Qualen mit stoischer Ruhe ertrug.
Selbst der Scharfrichter, ein warmherziger pfälzischer Patriot, ver-
ehrte Sand als einen Helden der nationalen Idee, bat ihn im voraus um
Verzeihung, empfing seine letzten Aufträge und schenkte dann den Stuhl,
der zur Hinrichtung gedient, einem Heidelberger Gesinnungsgenossen ins
Haus, wo das Heiligtum als ein teures Vermächtnis von Kindern
und Kindeskindern bewahrt wurde. Aus den Balken des Schaffots aber
baute er sich ein Weinbergshäuschen in seinem Rebgarten, an der sonnigen
Ecke des Rhein= und Neckartals bei Heidelberg; noch lange Jahre nach-
*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 26. Mai 1819.
I*) Varnhagens Bericht, 27. März 1819.