Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

528 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
her haben dort die Heidelberger Burschenschafter in Sands Schaffot, als 
Gäste seines Henkers, ihre geheimen Zusammenkünfte gehalten.) Am 
20. Mai 1820 wurde die Hinrichtung auf einer Wiese vor den Toren 
Mannheims vollzogen; die Burschen aus Heidelberg waren in Scharen 
herübergekommen und ließen abends in ihrer Musenstadt manch kräftiges 
Pereat auf König Friedrich Wilhelm erschallen. Die mit dem Blute des 
heiligen Sand bespritzten Späne wurden eifrig gekauft und die Stätte 
seines Todes hieß im Volke „Sands Himmelfahrtswiese“. 
Was die liberale Presse über die beiden Mordtaten sagte, lief auf 
mehr oder minder versteckte Anklagen gegen die Regierungen hinaus. Eine 
anonyme Schrift „Betrachtungen über die Ermordung Kotzebues“ pries 
geradezu die heilsame Wirkung der Tat Sands und schrieb alle Schuld 
den Kronen zu. Görres schilderte in Börnes „Wage“" mit mnystischem 
Wortschwall die göttliche Fügung, welche die alte und die neue Zeit ein- 
ander habe blutig begegnen lassen, und legte dann im Sommer, als die 
Demagogenverfolgung bereits begonnen hatte, die neuesten Einfälle seines 
beweglichen Kopfes in einem Buche „Deutschland und die Revolution“ 
nieder, einer Schrift, die auf die Masse der Leser nur aufreizend wirken 
konnte. Unter den vielen geheimen Verschwörungen, so begann er, über- 
sieht man die eine große, die murrend an jedem Herde sitzt, auf Märkten 
und Straßen sich laut ausspricht. Dann folgte ein Schauergemälde der 
neuen deutschen Geschichte: sei drei Jahrhunderten alles nur ein Welken, 
eine Dürre; das Ganze ruht, nachdem Liebe und Vertrauen gestorben 
sind, einzig auf dem Instinkt des Gehorsams. Von bestimmten Gründen 
des deutschen Elends wußte er freilich nur zwei anzugeben: die Vernich- 
tung des alten Kaisertums der Habsburger und die stehenden Heere, 
diese Müßiggänger, die den Staat im Frieden aussaugen, im Kriege ihn 
unverteidigt lassen. Wer schärfer hinsah, konnte leicht erkennen, daß 
der phantastische Mann, der sich auch diesmal wieder als Wortführer der 
preußischen Rheinlande gebärdete, schon im Begriffe stand mit Sack und 
Pack in das ultramontane Heer einzutreten. Unter den wenigen erfreu- 
lichen Zeichen der Zeit pries er vor allem das bayrische Konkordat, das 
nur den einen Fehler habe, dem Staate noch allzu große Rechte zu- 
zugestehen. Daher urteilten Gentz und Adam Muller sehr freundlich 
über das wunderliche Buch. Für die preußische Rheinprovinz aber 
war niemand gefährlicher als ein demagogischer Kapuziner, und König 
Friedrich Wilhelm wußte wohl, warum er diese Schrift als einen 
Versuch, die Rheinländer gegen den preußischen Staat aufzuwiegeln, be- 
trachtete. 
Während also eine unklare, ziellose, ingrimmige Erbitterung in den 
gebildeten Klassen sich zeigte, gerieten im Verlaufe des Sommers mit 
  
*) Nach einer Aufzeichnung von Herrn Prof. G. Weber in Heidelberg.
	        
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