Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

580 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
und ließ den größeren Bundesstaaten mitteilen, daß er fest auf ihre tätige 
Mitwirkung zähle. Nur das treu verbündete England-Hannover bedurfte 
keiner solchen Mahnung. Die verdächtigen thüringischen Höfe dagegen 
wurden gleich den Hansestädten bloß auf die ernste Willensmeinung des 
Königs verwiesen, aber ausdrücklich keines vertrauensvollen Wortes ge- 
würdigt.“') Indes bewirkte Humboldt, der treue Verehrer Karl Augusts, 
daß sich das freundliche Verhältnis zu dem Weimarischen Hofe bald wieder- 
herstellte. Er schrieb dem Großherzoge: „Ich meine, daß wenn man 
fest den Grundsätzen der Gerechtigkeit treu bleibt, wenn man die Straf- 
baren mit gesetzlicher Strenge, die große Masse, die nur Ruhe und innere 
Sicherheit sucht, mit Vertrauen behandelt und mit Konsequenz auf diesem 
Wege fortschreitet, keine Gefahr zu befürchten ist. Das Entstehen von 
Parteisucht ist in Zeiten wie die jetzigen unvermeidlich. Allein da 
ich überzeugt bin, daß sie einer Regierung ebenso verderblich als unwürdig 
ist, so werde ich ihr, wenn sie sich irgendwo finden sollte, immer entgegen- 
arbeiten, sie möge sich gegen uns oder ein anderes Land richten.“““) Die 
Weimarische Regierung war dermaßen eingeschüchtert, daß sie sich schon 
mit dem Plane trug ihrem Landtage eine den jüngsten Bundesbeschlüssen 
entsprechende Verfassungs-Anderung vorzuschlagen. Als sie deshalb im 
Oktober bei Bernstorff anfragte, da regte sich wieder das preußische Rechts- 
gefühl; der Minister erwiderte: diese „delikate Operation“ sei wohl wün- 
schenswert, könnte aber in der gegenwärtigen Lage leicht mißlingen und 
dann nach innen wie nach außen sehr unangenehme Folgen haben.) 
Daraufhin unterblieb das Wagnis, und Preußen hatte wieder einmal 
den Bestand einer deutschen Landesverfassung gesichert. 
An die Gesandten im Ausland erging (28. September) ein von 
Ancillon verfaßtes Zirkularschreiben, das mit theologischer Salbung schil- 
derte, wie die vier Mächte die Legitimität und das Eigentum wiederher- 
gestellt, Deutschland aber diese Politik jetzt von neuem befestigt hätte: 
„durch seine geographische Lage ist Deutschland der Mittelpunkt oder, besser 
gesagt, das Herz Europas, und das Herz kann nicht schadhaft oder krank 
sein ohne daß man dies bald bis in die äußersten Glieder des politischen 
Körpers fühlen müßte.“ Als dies Aktenstück von Paris aus widerrecht- 
lich veröffentlicht wurde, erscholl durch die gesamte liberale Presse 
Europas ein Wehruf über Preußen. 
Bald nachher, am Jahrestage der Leipziger Schlacht, befahl der König 
die Bekanntmachung der Karlsbader Beschlüsse. Am nämlichen Tage ge- 
nehmigte er das Zensur-Edikt, das der Staatskanzler in höchster Eile hatte 
  
*) Weisung an die Gesandten in Dresden, München, Stuttgart, Darmstadt, 2. Okt.; 
desgleichen an Gf. Keller in Erfurt und die Geschäftsträger in Hamburg und Frankfurt, 
2. Okt. 1819. 
*“) Humboldt an Großh. Karl August, 9. Okt. 1819. 
7?“) Cruickshanks Bericht, 30. Okt. 1819.
	        
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