586 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
bayrische Krone vertreten, und Rechberg sagte mit feiner Menschenkenntnis
voraus, dieser des Liberalismus verdächtigte Bureaukrat werde als ein
warmer Verehrer Metternichs von der Donau heimkehren.)
Die Unredlichkeit des bayrischen Hofes erschien immerhin noch achtungs-
wert neben dem Verhalten der Krone Württembergs. König Wilhelm
ließ schon am 1. Oktober die Karlsbader Beschlüsse ohne Vorbehalt veröffent-
lichen und noch am selben Tage die Zensur einführen; gleichwohl hatte er
wenige Tage zuvor die neue Verfassung beschworen, welche die Preßfreiheit
verhieß und auch sonst den Karlsbader Erklärungen des Ministers Wintzin-
gerode vielfach widersprach. Vielleicht beruhigte er sich wie Hardenberg
bei dem Troste, das Bundes-Preßgesetz gelte nur für fünf Jahre. Mit
gewundenen Versicherungen suchte man diese Zweizüngigkeit vor den beiden
Großmächten zu entschuldigen. Nach allem was geschehen, beteuerte
Wintzingerode dem preußischen Gesandten, sei die Krone ihrem Volke einen
Beweis des Vertrauens schuldig gewesen; in Wien aber ließ der König
andeuten: wenn man ihm die Mittel dazu biete, so wolle er gern das
Geschehene zurücknehmen.)) Als die Stadt Eßlingen sich in einer Bitt-
schrift gegen die Karlsbader Beschlüsse aussprach, erteilte Wintzingerode
dem Zensor, welcher dies gefährliche Aktenstück durchgelassen hatte, einen
scharfen Verweis. Derselbe Minister bereitete gleichzeitig einen diploma-
tischen Feldzug für die Wiener Konferenzen vor und ließ, um seinem
Hofe einen Anhang unter den Kleinen zu werben, zunächst die Karls-
bader Konferenzprotokolle, deren Geheimhaltung angelobt war, für mehrere
der ausgeschlossenen kleinen Höfe abschreiben.
Mittlerweile suchte König Wilhelm auch noch das einzige zu zerstören
was in dieser düsteren Epoche unserer Geschichte erfreulich war, den Ein-
mut der deutschen Kronen gegenüber dem Auslande. Im Oktober ging
er nach Warschau, um seinen kaiserlichen Schwager gegen die beiden deutschen
Großmächte aufzuwiegeln; Metternich aber befahl sofort dem Gesandten
Lebzeltern, sich ebenfalls in der polnischen Hauptstadt einzufinden.)
Die Vorsicht war kaum nötig. Zar Alexander empfing seinen Schwager
sehr kühl; dies Ubermaß der Falschheit ekelte ihn doch an, obwohl er
selber die krummen Wege nicht immer verschmähte. Er scheute sich nicht
vor den fremden Diplomaten offen auszusprechen: erst zweimal die Karls-
bader Beschlüsse förmlich annehmen, dann ihnen zuwiderhandeln und schließ-
lich noch meine Hilfe anrufen, das nenne ich ein schlechtes Handwerk (de
la manvaise besogne); den Feinen zu spielen ist immer die übelste
Politik.f) Der Württemberger mußte unverrichteter Dinge abziehen und
*) Zastrows Bericht, 27. Okt. 1819.
- ant) Küsters Bericht, Stuttgart 12. Okt.; Krusemarks Berichte, Wien 22. Sept.,
***) Weisung an Krusemark, 1. Okt. 1819.
0Lebzelterns Bericht aus Warschau (in Krusemarks Bericht, Wien 8. Dez.),
Blittersdorffs Bericht, Petersburg 7. Nov. 1819.