Erster Abschnitt.
Die Wiener Conferenzen.
Die Macht der trägen alltäglichen Gewohnheit betrügt den Genius
zuweilen um die Früchte seines Schaffens, aber sie hemmt auch oft das
Unrecht auf seiner vermessenen Bahn. Ein Staatsstreich, wie er dem
Fürsten Metternich zu Karlsbad und Frankfurt gelungen war, läßt sich
nicht sogleich wiederholen, am wenigsten in der vielgetheilten deutschen
Welt. Die Angst des Sommers 1819 war verflogen, die neuen Aus-
nahmegesetze genügten vorläufig um die wirklichen wie die eingebildeten
Gefahren einer demagogischen Schilderhebung zu beschwören, und je sicherer
man sich wieder fühlte, um so mächtiger regte sich an den kleinen Höfen
wieder die Empfindung, welche in friedlichen Zeitläuften bei ihnen immer
vorherrschte: die Sorge um ihre Souveränität.
Wohl hatte Baiern seinem nachträglichen Widerspruche gegen die
Karlsbader Beschlüsse selber wieder die Spitze abgebrochen durch eine be-
schwichtigende Erklärung an die beiden Großmächte, und dem König von
Württemberg war die in Warschau gesuchte Hilfe nicht zu theil geworden.
Die Wirksamkeit der Bundesbeschlüsse ward auch dadurch keineswegs beein-
trächtigt, daß der Münchener Hof sich bei ihrer Ausführung eine kleine
Eigenmächtigkeit erlaubt, die Executionsordnung gar nicht veröffentlicht,
die Censur nur für politische Zeitschriften eingeführt hatte; denn die Exe-
cutionsordnung, die ja nur dem Bunde, nicht den Einzelstaaten neue
Befugnisse gewährte, bestand unzweifelhaft zu Recht, seit der Bundestag
sie verkündigt hatte, und für das Wohlverhalten der bairischen Schrift-
steller war durch die Amtsgewalt der Polizeibehörden so ausgiebig gesorgt,
daß Zentner späterhin, der Wahrheit gemäß, versichern konnte: auf solche
Weise werde der Zweck des Karlsbader Preßgesetzes „ebenso gut und oft
noch sicherer erreicht als durch eine Censur“".') Gleichwohl fühlte Har-
denberg, daß aus allen diesen zaghaften Widerstandsversuchen ein stiller
Groll sprach, der leicht gefährlich werden konnte. Wer vermochte zu
sagen, ob nicht der bairische Kronprinz vielleicht bald am Hofe seines
*) Zentner, Denkschr. über die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, 28. Mai 1824.
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