Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Städte und Kreise. 105 
schwerer zu gewinnen, als vormals das verschüchterte Kleinbürgerthum 
der Städte des Ostens. 
Auch in der Kreisverwaltung verrieth sich überall der Gegensatz von 
Ost und West. Gleichzeitig mit den Provinzen und den Regierungs— 
bezirken war auch die altbewährte brandenburgische Kreiseintheilung mit— 
sammt dem Landrathsamte in die neuen Gebiete eingeführt worden, und 
im Jahre 1816 hatte der König den Kreisständen wieder gestattet, für 
die erledigten Landrathsstellen drei Candidaten aus den Grundbesitzern 
des Kreises vorzuschlagen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes war der 
Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter, und Hardenberg erklärte 
ausdrücklich: wenn der Landrath aus den Kreiseingesessenen ernannt 
würde, so „liege dem keineswegs die Vorstellung von einem repräsen- 
tativen Verhältniß zu Grunde, sondern nur die Idee, daß ein Solcher 
mit seinem Grundeigenthum für die Vermuthung bürge, daß er kennen 
und befördern werde, was zum Wohl der Kreisinsassen gereicht.““') That- 
sächlich blieb der Landrath im Osten doch wie von Alters her zugleich 
Organ der Regierung und Vertrauensmann seines Kreises. Die eigen- 
thümliche Doppelstellung, die dem Hauptamte der alten Provinzen seinen 
Charakter gab, ließ sich leider auf die westlichen Landestheile nicht kurz- 
weg übertragen. Hier war die Zahl der gebildeten Grundbesitzer so gering, 
daß man auch „andere geeignete Personen", namentlich Offiziere, an die 
Spitze der Kreisverwaltung stellen mußte. Solche Beamten-Landräthe 
konnten nicht viel mehr sein als Nachfolger der napoleonischen Unter- 
präfekten. Einzelne von ihnen wurden zwar allmählich in dem neuen 
Neste warm: so der wackere Bärsch, der Genosse Schills, der in dem 
armen Eifelkreise Prüm ein strenges Regiment führte und bald durch 
seine Schriften über die Landeskunde der Eifel bewies, daß er in dem 
rauhen Gebirge besser Bescheid wußte als die Eingeborenen selber. Viele 
aber blieben ihrem Kreise fremd und betrachteten ihr Amt als einen 
Durchgangsposten zu höheren Stellen. Die radicale Zerstörung aller 
aristokratischen Kräfte führte hier wie in Frankreich zu einer rein bureau- 
kratischen Verwaltung. Ueber die Kreisversammlungen war noch nichts 
bestimmt, seit der König das unglückliche Gensdarmerie-Edikt außer Kraft 
gesetzt hatte; doch Jedermann fühlte, daß die Kreisstände in dem bürger- 
lichen Westen eine andere Form erhalten mußten als in den aristokratischen 
alten Provinzen. — 
Wie wenig mußten der König und sein Kanzler diese verwickelten 
Verhältnisse kennen, wenn sie die Vollendung der Communalordnungs- 
Entwürfe binnen vier Wochen erwarteten. Erst nach einem halben Jahre 
hatte die Commission den ungeheuren Stoff nothdürftig, und nicht ohne 
  
*) So erwiderte Rother im Auftrage des Staatskanzlers auf eine Anfrage des 
Reg.-Präs. Wißmann vom 28. Nov. 1815.
	        
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