Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Vorladung König Ferdinand's. 167 
zu räumen. Indem sie also die großen Mächte tödlich reizte, drückte sie 
ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: sie erlaubte dem 
Könige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlassen durfte, nach 
Laibach zu reisen, nur sollte er zuvor die schon zweimal beschworene Ver— 
fassung zum dritten Male eidlich bekräftigen. So stand dies Herrscher— 
haus zu seinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der schimpf— 
lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments stellten sich an, 
als ob sie ihm glaubten; sie wähnten durch ihre zur Schau getragene 
Sicherheit die großen Mächte abzuschrecken. Die österreichischen Staats- 
männer aber ahnten, daß diese Ueberschlauheit, die den Südländern so 
oft verderblich wird, an der eisernen Stirn des Bourbonen ihren Meister 
finden sollte; sie wußten, wie dieser dreifach Meineidige in Laibach reden 
würde, und sahen ihr Spiel schon halb gewonnen. 
Minder glücklich fuhr Metternich mit seinen Vorschlägen für den 
europäischen Garantie-Vertrag. In einer langen Denkschrift vom 28. Nov. 
führte er zunächst seine vierte Metapher, die große Wasserfluth, vor und zeigte 
die Nothwendigkeit, „um jeden Preis wirksame Dämme zu errichten gegen 
diesen revolutionären Strom, der, wenn er nicht in seinen Ueberfluthungen 
aufgehalten wird, schließlich Alles zu verschlingen droht.“ Darum muß 
die legitime Souveränität durch einen allgemeinen Vertrag unter die Bürg- 
schaft der europäischen Mächte gestellt werden, so zwar, daß jede durch 
eine angemaßte Gewalt bewirkte Revolution die Mächte ohne Weiteres 
zum Einschreiten berechtigt; wird der Umsturz hingegen durch den legi- 
timen Souverän selber vollzogen, dann dürfen die Mächte nur einschreiten 
falls er die Nachbarstaaten gefährdet.) Die Arbeit führte im Grunde 
nur schärfer aus, was in dem Protocoll vom 19. Nov. schon vorläufig 
angedeutet war. Der Czar aber war inzwischen über die Folgen seiner 
eigenen Vorschläge besorgt geworden; er konnte sich nicht verhehlen, daß 
weder die Westmächte noch selbst die constitutionellen Kleinstaaten Deutsch- 
lands einen Vertrag unterzeichnen durften, der ihre Verfassungen der oberst- 
richterlichen Gewalt europäischer Congresse förmlich unterworfen hätte. 
Alexander zeigte sich so bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt, 
sein schweres Geschütz aufzufahren. Im tiefsten Vertrauen überreichte er dem 
Czaren, mit Genehmigung des Kaisers Franz, sein „politisches Glaubens- 
bekenntniß", eine weitschweifige geschichtsphilosophische Betrachtung über 
das Zeitalter der Revolution. Wie geistvoll und gerecht schilderte um 
dieselbe Zeit General Clausewitz, auch ein conservativer Gegner der 
Revolution, in seiner classischen Abhandlung über die politischen Umtriebe 
alle die gewaltigen Wandlungen des wirthschaftlichen und des geistigen 
Lebens, welche den Schwerpunkt der bürgerlichen Gesellschaft allmählich 
*) Oesterreichische Denkschrift Sur duelques mesures générales etc., 28. Nov. 
1820. Viele dieser Troppauer und Laibacher Aktenstücke sind schon von Gervinus (Gesch. 
des neunzehnten Jahrh. VII. 783 f.) benutzt. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.