Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

10 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Dauer des hiesigen Vereins eine heilsame Scheu einzuflößen hoffte.“) 
So wunderliche Blasen stiegen aus dem Sumpfe der deutschen Bundes- 
politik empor. Nicht nationale Gesinnung beseelte den Staatsmann, der 
so nachdrücklich die Nothwendigkeit einer starken Centralgewalt vertheidigte, 
sondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbstüberhebung 
des Particularismus; er verwechselte, wie Bernstorff ihm vorwarf, be- 
ständig „die besonderen Verhältnisse Badens mit den höheren und allge- 
meineren der Gesammtheit". Der Ausgang der Wiener Verhandlungen 
erfüllte diese reaktionären Centralisten mit tiefem Unwillen. „Oesterreich", 
schrieb Blittersdorff zornig, „sicherte durch seine Halbheit den neuen Ideen 
den Sieg; in dieser Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach- 
theiligste Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oesterreich seit langen 
Jahren unterzeichnet worden ist.““) 
Noch leidenschaftlicher gebärdete sich Berstett's Freund, der Nassauer 
Marschall. Der hatte erwartet, daß in Wien sofort der Vernichtungs- 
krieg gegen die neuen Verfassungen entbrennen würde, und schon vor 
Eröffnung der Conferenzen eine Denkschrift entworfen, welche in glühenden 
Farben „das Gemeinschädliche und Rechtswidrige“ des württembergischen 
Grundgesetzes schilderte. Weil diese Verfassung die Form eines Vertrages 
trug, so wurde sie, trotz ihres wahrlich sehr bescheidenen Inhaltes, von 
den Doktrinären beider Parteien für das Meisterstück des Liberalismus 
angesehen. Der Nassauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten 
zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adresse sagten: „das 
gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen ist über 
den Grundsatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und 
Volk nicht gedacht werden könne.“ Er betheuerte, schon durch ihren Ur- 
sprung sei diese Verfassung „eine Huldigung, dem in Deutschland gäh- 
renden demokratischen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli- 
gung knüpfe sich die Erhaltung und Befestigung der inneren Ruhe von 
Deutschland.“ Die ängstlich beschränkte Gemeindefreiheit der Schwaben 
erschien dem Oberhaupte der allmächtigen nassauischen Bureaukratie als 
ein Versuch „den Staat von unten auf zu republicanisiren“; und da 
er selber mit seinem Landtage wegen der Domänen haderte, so fand er 
es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange seines Vaters, 
dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu- 
gestanden hatte, und rief entrüstet: „ein deutscher Fürst hat sein Fa- 
miliengut für Volksgut erklärt!“) Bald mußte er lernen, wie un- 
günstig die Wiener Luft jetzt solchen Plänen war. Als er sodann das 
vertrauliche Einvernehmen zwischen Bernstorff und Zentner bemerkte, da 
– — — — —„,„ —— 
  
*) Bernstorff's Bericht, 9. April; Bernstorff an Ancillon 9. April 1820. 
**) Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politische Krisis, 5. Nov. 1820. 
* ) Marschall, Bemerkungen über die württembergische Verfassung, Wien, 17. Nov. 
1819, veröffentlicht von Aegidi in seiner Zeitschrift für deutsches Staatsrecht I. 149.
	        
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