212 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
Protestanten“ folgen, als ob es sich nur um die subjectiven Meinungen
kleiner Conventikel handele. Da er nicht zu verstehen vermochte, daß die
evangelische Christenheit keinen Priesterstand kennt und mithin ihre sicht—
baren Kirchen, in den Fluß der Zeit gestellt, weder selig sprechen noch
die Seligkeit verweigern können, so gelangte er zu der ungeheuerlichen
Behauptung, der Protestant sei mit der Kirche nur durch Vertrag ver—
bunden — wobei die Anspielung auf Rousseau's revolutionären Contrat
social deutlich zwischen den Zeilen zu lesen war. Der bewegliche Gelehrte
war erst vor Kurzem zu seinen streng römischen Ansichten gelangt und
blieb auch fernerhin so empfänglich für die neuen Wallungen des kirch—
lichen Lebens, daß er erst im Laufe der Jahre die letzten Folgerungen aus
seinem kirchenpolitischen Systeme zu ziehen wagte und die verschiedenen
Ausgaben seines Lehrbuchs gleich einem Barometer den wachsenden cleri-
calen Luftdruck erkennen ließen. In der ersten Auflage hatte er dem Staate
sogar das Placet zugestanden, späterhin erschien ihm fast jede Bethätigung
der Kirchenhoheit als ein Uebergriff, der die Kirche in den Zustand der
Verfolgung versetze und die Gläubigen zum Ungehorsam berechtige.
Loch stand dieser neue Romanismus, dem Fernstehenden kaum bemerk-
bar, ganz in den ersten Anfängen; er gebot nur über wenige Blätter und
besaß in den süddeutschen Landtagen erst vereinzelte Anhänger, die nur selten
Farbe zu bekennen wagten. Ein großer Theil der ältern Priester war
noch in der Schule des Rationalismus aufgewachsen oder stand den national-
kirchlichen Ideen Wessenberg's nahe. In dem Breslauer Diöcesanblatt,
das während der Jahre 1803—19 dem schlesischen Clerus als Sprechsaal
diente, äußerte sich häufig eine reformatorische Gesinnung, namentlich ward
die Einführung der deutschen Sprache in den Cultus nachdrücklich gefordert,
und der junge Domherr Graf Sedlnitzky durfte ungestört die deutsche
Bibel unter seinen Gläubigen verbreiten. Aber nach dem Tode des milden
Fürstbischofs v. Hohenlohe-Waldenburg (1817) zog ein anderer Geist in
das schlesische Kirchenregiment ein, das Diöcesanblatt ging unter, und hier
wie überall begann die streng confessionelle Gesinnung unter dem jüngeren
Clerus überhandzunehmen.
Schwach an Zahl, war die clericale Partei doch schon im Aufsteigen,
sie übertraf die letzten Vertreter der alten milderen Richtung an Talent,
Thatkraft, Zuversicht und fand an der ganzen Weltanschauung dieses Zeit-
alters der Romantik einen überaus dankbaren Boden. Welch eine Hand-
habe bot ihr die Furcht vor der Revolution. Wie leicht ließ sich die That-
sache verdunkeln, daß die Revolution des sechzehnten Jahrhunderts nicht
bloß zerstörend, sondern mehr noch erhaltend gewirkt, daß Martin Luther
den ursprünglichen Geist des Christenthums für die moderne Welt gerettet
hatte; wie verlockend klang die Lehre, daß die Wogen der Empörung allein
an der festesten aller Autoritäten, an dem Felsen Petri sich brechen könnten.
Mit gründlicher Verachtung schaute die romantische Welt zurück auf „die