Friedliche Haltung Rußlands. 257
seine philhellenische Gesinnung nicht verhehlt und sich in der Unterrichts—
verwaltung duldsamer gezeigt, als dem fanatischen Popen erlaubt schien.
Wetteifernd suchten England und Oesterreich, die beiden treuen Gönner
des Divans, den Czaren in seiner friedlichen Gesinnung zu bestärken. Im
Oktober 1821 empfing Metternich von Lord Castlereagh ein Schreiben, das
ihn über die Harmlosigkeit der Troppauer Protestnoten seines englischen
Freundes vollständig beruhigte. Der Lord, jetzt Graf Londonderry, lud
ihn ein, sich in Hannover bei König Georg einzufinden; dort wollten sie
beide alle die kleinen Meinungsunterschiede ausgleichen, die selbst zwischen
vollkommen gleichgesinnten Höfen zuweilen beständen.“) In Hannover
ward der Oesterreicher mit offenen Armen ausgenommen; der Welfe sprach
mit inbrünstiger Bewunderung von der Weisheit des Kaiser Franz, ließ
bei Tisch ein urkräftiges Hep Hep Hurrah zu Ehren seines großen Allürten
erschallen und entwickelte Grundsätze, deren Lauterkeit den Gast entzückte:
seine eigenen Tory-Minister waren ihm noch viel zu liberal. Die beiden
Staatsmänner erneuerten unterdessen ihr altes Freundschaftsbündniß, sie
verständigten sich leicht über alle europäischen Fragen, am leichtesten
über die Aufrechterhaltung des Friedens im Oriente: mit vereinter Kraft
dachten Beide zugleich den Czaren vor dem Kriege zu warnen und die
Pforte zur Mäßigung zu mahnen. Da aber die Feinheit der Orientalen
sogleich witterte, daß keiner der beiden Höfe geneigt war, seinen menschen-
freundlichen Mahnungen durch die Waffen Nachdruck zu geben, und der
Oesterreichische Beobachter nach wie vor jede Grausamkeit der Türken
beschönigte, jeden Sieg der Griechen verdächtigte, so ließen sich die
Paschas des herrischen Machmud in ihrer gewohnten Kriegführung nicht
stören. Sie fuhren fort, gegen die Rebellen die altbewährten ottomanischen
Beruhigungsmittel des Schändens und Schindens, des Pfählens und
Säckens, des Köpfens und Brennens anzuwenden; und wer ein Ohr
hatte für die Verzweiflung eines zur Raserei gebrachten Volkes, der mußte
erkennen, daß die von Metternich und Londonderry ersehnte Unterwerfung
der Griechen schon längst unmöglich war. Ein so gräßlicher Krieg konnte
nicht mehr anders enden als mit der Ausrottung oder der Befreiung des
Hellenenvolkes.
Dem Caearen freilich war die unfruchtbare Schlauheit der Hofburg
immer noch überlegen. Zunächst galt es „den Träumer“ Kapodistrias
vom Petersburger Hofe zu entfernen. Den ganzen Winter hindurch
ängstete Metternich den russischen Monarchen in zahllosen Briefen und
Denkschriften mit dem Gespenste des allgemeinen Weltbrandes: alle Un-
zufriedenen in Deutschland ersehnten den Augenblick, da der Czar sich
für die Revolution erklären würde! Von dem getreuen Rechberg wollte
er sogar erfahren haben, daß die Münchener Liberalen nur auf das
*) Castlereagh an Metternich, Aachen 1. Okt. 1821.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 17