Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

22 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Der Wortlaut des Artikels erschien so dehnbar, daß sich jede der bestehen- 
den Verfassungen zur Noth damit vertrug und Baiern ebenso unbedenk- 
lich wie Sachsen und Hannover zustimmen konnte. An den vorhandenen 
Zuständen änderte die Verkündigung des monarchischen Princips nichts; 
nur mit dem System der reinen Parlamentsherrschaft, das in Deutsch- 
land erst vereinzelte machtlose Anhänger fand, war sie unvereinbar. 
Die nämliche Unklarheit der staatsrechtlichen Begriffe bekundete sich 
wieder, als die Conferenz über das Geldbewilligungsrecht der Landtage 
verhandelte. Die Berathenden ahnten dunkel, daß jede geordnete Staats- 
verwaltung unmöglich wird, sobald die Volksvertretung alle Posten der 
Staatsausgaben nach Gutdünken streichen kann. Aber die schwierige Frage 
des constitutionellen Budgetrechts war bisher weder von der Wissenschaft 
noch in der Praxis gründlich erörtert worden. Noch hatte Niemand die 
einfache Frage aufgeworfen: ob denn wirklich das Etatgesetz der Rechts- 
titel sei, kraft dessen der constitutionelle Staat seine Ausgaben leiste? — 
Niemand auf die unbestreitbare Thatsache hingewiesen, daß weitaus die 
meisten Ausgaben der deutschen Staaten, die regelmäßigen Besoldungen, 
die Zinsen der Staatsschulden u. s. f., auf älteren Gesetzen beruhten, und 
mithin den Volkskammern auch nicht das Recht zustehen konnte, diese 
Gesetze durch willkürliche Geldverweigerung einseitig aufzuheben. Unsicher 
tastend suchte die Conferenz nach einem Auswege. Marschall schlug vor, 
die Landstände sollten keine Leistungen verweigern dürfen, die zur Erfül- 
lung der bestehenden Verwaltungsgesetze nothwendig seien. Doch die Be- 
sonnenen fühlten, wie leicht sich dieser Antrag des Ultras zur Zerstörung 
des Budgetrechtes der Landtage mißbrauchen ließ. Schließlich fand man 
rathsam, die heikle Streitfrage mit Stillschweigen zu übergehen und ließ 
es bewenden bei der selbstverständlichen Bestimmung (Art. 58), daß die 
Souveräne durch keine landständische Verfassung in der Erfüllung ihrer 
bundesmäßigen Verpflichtungen beschränkt werden dürften. 
Unter allen Vorschriften der neuen Verfassungen erschien keine der 
diplomatischen Scelenangst so gefährlich wie die Oeffentlichkeit der Land- 
tagsverhandlungen. Ueber die Verwerflichkeit dieses demagogischen Unfugs 
war man in Wien ebenso einig wie vordem in Karlsbad. Die Minister 
der constitutionellen Staaten ergingen sich in bitteren Klagen über die 
Zügellosigkeit der parlamentarischen Beredsamkeit*); Alle gestanden zu, 
daß die unbeschränkte Veröffentlichung solcher Reden den heilsamen Vor- 
schriften des neuen Preßgesetzes widerspreche, und Metternich meinte, durch 
diesen Mißbrauch werde jeder Staat, der nicht mindestens 10 Mill. Ein- 
wohner zähle, unrettbar zu Grunde gerichtet. Gleichwohl trug Zentner 
Bedenken, sich auf eine Abänderung der bairischen Verfassung einzulassen. 
Die Ultras unterlagen auch diesmal, und man gelangte wieder nur zu 
*) Bernstorff's Bericht, 12. Dec. 1819.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.