Die Stuttgarter Presse. 309
kennbare Mißerfolg der Conferenzen beruhigte die Leiter der deutschen
hohen Polizei nicht: dieser Verschwörer Wangenheim war überall, selbst
das badische Land sollte er zu Pferde durchstreift haben um sich mit den
liberalen Abgeordneten zu besprechen. —
Ueberdies war Stuttgart seit einigen Jahren der Mittelpunkt der
liberalen Presse Deutschlands, obgleich die Censur keineswegs sehr nach—
sichtig verfuhr. Dort ließ der Kurhesse Friedrich Murhard, vor Zeiten
Herausgeber des königlich westphälischen Moniteurs, eine Fortsetzung von
Posselt's Annalen erscheinen, eine Zeitschrift, die neben den phrasenhaften
Ergüssen des Herausgebers selber manchen gediegeneren Aufsatz von
Wangenheim, Rotteck und anderen liberalen Parteiführern brachte. Friedrich
Murhard lebte sammt seinem Bruder, dem Nationalökonomen Karl in
Frankfurt, verkehrte viel mit Klüber und den Genossen der Bundestags-
opposition. So kam es, daß jeder Artikel der Annalen verdächtigt wurde
und ein unbedeutender Aufsatz des Stuttgarter Hofpublicisten Lindner
über „die Diplomaten“, der im Grunde nur einige nichtssagende Stiche—
leien gegen den Adelshochmuth und das leere Salongeschwätz der Durch—
schnittsdiplomatie enthielt, peinliches Aufsehen erregte. Graf Buol und
die österreichische Partei sahen darin eine boshafte Verhöhnung des Bundes-
tages. Um dem gefährlichen Blatte die Wage zu halten gründete Pfeil—
schifter in Frankfurt, wahrscheinlich mit österreichischem Gelde, eine streitbare
hochconservative Zeitschrift „der Staatsmann“. Der Restaurator Haller
selbst beehrte sie mit Beiträgen, aber sie fand wenig Anklang, weil ihr
Legitimismus am letzten Ende auf die Verherrlichung der römischen Kirche
und der Gesellschaft Jesu hinauslief. Von den anderen Stuttgarter
Blättern erfreute sich die Neckarzeitung schon längst der besonderen Ungnade
der Hofburg, und ihr Ruf verschlimmerte sich noch, seit Wangenheim sie
mit sehr indiskreten Berichten aus der Eschenheimer Gasse versorgte.)) Noch
weit verdächtiger erschien Liesching's Deutscher Beobachter, ein entschieden
radicales Blatt, das übrigens kaum dreihundert Abonnenten zählte und
seine revolutionären Drohungen so geschickt hinter unbestimmten Rede-
wendungen zu verstecken wußte, daß die Censur ihm nichts anhaben konnte.
Was ließ sich auch dawider thun, wenn der Beobachter den Preßzwang,
ganz im Allgemeinen, ohne Nennung der Karlsbader Beschlüsse, als „das
geistige Faustrecht" des neuen Jahrhunderts brandmarkte oder wenn er
über den Aufstand der Griechen sagte: „der Todtenacker reift schon zu
einem Auferstehungsfeste; Ihr habt den Frieden der Völker zerstört, wie
wollt Ihr den Frieden der Throne befestigen“ —
Kampf gegen die Politik der Congresse — oder gegen die Heilige
Allianz, wie der Modeausdruck lautete — war der leitende Gedanke der
Stuttgarter Presse. Metternich in seiner Seelenangst ließ sich's nicht aus-
— — — —
*) Goltz's Bericht, 27. April 1822.