Der Federkrieg wegen der Städteordnung. 375
Bewunderer sagten; Fr. v. Raumer rügte einzelne Mißstände ohne das
Gesetz selber zu bekämpfen, Ulmenstein vertrat die rheinländische, Wiese
die hochconservative kurmärkische Ansicht. Man konnte nicht leugnen, daß
manche Stadtverordnetenversammlung sich roh und engherzig benahm,
zumal bei der Einrichtung der Gemeindeschulen. Man bemerkte mit
Befremden, daß allmählich — ganz gegen Stein's Absicht — eine neue
Beamtenklasse heranwuchs, eine Communalbureaukratie von besoldeten
Bürgermeistern und Stadträthen, welche bereitwillig von einer Stadt zur
andern wandernd, fast ebenso heimathlos wie das Staatsbeamtenthum,
sich gleichwohl berufen glaubte, den Municipalgeist gegen die Staatsgewalt
zu vertreten. Aber was man auch tadeln mochte, im Ganzen bestand
Stein's Werk die Feuerprobe dieses literarischen Kampfes glänzend.
Alle ruhigen Beurtheiler, und auch die Regierung selbst, begegneten
sich in der Erkenntniß, daß doch nur die Verbesserung einzelner Mängel
nöthig sei, und Raumer meinte stolz: wer Preußens Beamtenthum, Heer
und Städtewesen mit dem constitutionellen Präfektenstaate Frankreichs
vergleiche, der müsse bekennen, daß die Preußen das Wesen der Freiheit
besäßen, die Franzosen nur den Schein. Wie weit aus einander gingen
doch die politischen Bahnen der beiden Nationen! Zur nänmlichen Zeit
(1829), da die Preußen, vom Ausland gänzlich unbeachtet, sich nüchtern
über die Grundsätze ihrer Selbstverwaltung zu verständigen suchten, wurde
den französischen Kammern ein neues Gemeindegesetz vorgelegt. Bewun-
dernd lauschte Europa der prächtigen Redeschlacht, die mit der Verwerfung
des Gesetzes und dem Rücktritt der Minister endigte. Und doch lag in
diesen tönenden Reden weniger Gehalt als in jenen schmucklosen, geschäfts-
mäßigen preußischen Schriften; denn Niemand in Frankreich hielt es der
Mühe werth, die Lebensbedingungen der Gemeindefreiheit zu prüfen;
von dem Despotismus der napoleonischen Verwaltung wollte keine Partei
das Mindeste missen, die ganze Leidenschaft des parlamentarischen Streites
warf sich auf die untergeordnete Frage, wie viele Wähler an den
Gemeinderathswahlen theilnehmen sollten. Hier stürmische Kämpfe um die
Ministersessel und unwürdige Unterwerfung unter die Allmacht der Prä-
fekten, dort ein fast kindliches Vertrauen auf die absolute Krone, sehr
wenig Empfänglichkeit für die constitutionellen Lehren und daneben ein
helles Verständniß für die Pflichten der Selbstverwaltung: — der ganze
Gegensatz romanischer und germanischer Staatsgesinnung trat grell her-
vor. Erst die Zukunft sollte lehren, daß die ruhigere Entwicklung die
gesündere war.
Sehr langsam freilich war diese Entwicklung; die Kräfte des Behar-
reus zeigten sich so stark, daß die Krone vollauf zu thun hatte, nur das
Errungene zu behaupten. Sie beabsichtigte, da bereits eine gemeinsame
Gewerbesteuer bestand, nunmehr auch eine Gewerbeordnung für den ge-
sammten Staat einzuführen; doch als sie die Gutachten der Provinzial-