Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der Federkrieg wegen der Städteordnung. 375 
Bewunderer sagten; Fr. v. Raumer rügte einzelne Mißstände ohne das 
Gesetz selber zu bekämpfen, Ulmenstein vertrat die rheinländische, Wiese 
die hochconservative kurmärkische Ansicht. Man konnte nicht leugnen, daß 
manche Stadtverordnetenversammlung sich roh und engherzig benahm, 
zumal bei der Einrichtung der Gemeindeschulen. Man bemerkte mit 
Befremden, daß allmählich — ganz gegen Stein's Absicht — eine neue 
Beamtenklasse heranwuchs, eine Communalbureaukratie von besoldeten 
Bürgermeistern und Stadträthen, welche bereitwillig von einer Stadt zur 
andern wandernd, fast ebenso heimathlos wie das Staatsbeamtenthum, 
sich gleichwohl berufen glaubte, den Municipalgeist gegen die Staatsgewalt 
zu vertreten. Aber was man auch tadeln mochte, im Ganzen bestand 
Stein's Werk die Feuerprobe dieses literarischen Kampfes glänzend. 
Alle ruhigen Beurtheiler, und auch die Regierung selbst, begegneten 
sich in der Erkenntniß, daß doch nur die Verbesserung einzelner Mängel 
nöthig sei, und Raumer meinte stolz: wer Preußens Beamtenthum, Heer 
und Städtewesen mit dem constitutionellen Präfektenstaate Frankreichs 
vergleiche, der müsse bekennen, daß die Preußen das Wesen der Freiheit 
besäßen, die Franzosen nur den Schein. Wie weit aus einander gingen 
doch die politischen Bahnen der beiden Nationen! Zur nänmlichen Zeit 
(1829), da die Preußen, vom Ausland gänzlich unbeachtet, sich nüchtern 
über die Grundsätze ihrer Selbstverwaltung zu verständigen suchten, wurde 
den französischen Kammern ein neues Gemeindegesetz vorgelegt. Bewun- 
dernd lauschte Europa der prächtigen Redeschlacht, die mit der Verwerfung 
des Gesetzes und dem Rücktritt der Minister endigte. Und doch lag in 
diesen tönenden Reden weniger Gehalt als in jenen schmucklosen, geschäfts- 
mäßigen preußischen Schriften; denn Niemand in Frankreich hielt es der 
Mühe werth, die Lebensbedingungen der Gemeindefreiheit zu prüfen; 
von dem Despotismus der napoleonischen Verwaltung wollte keine Partei 
das Mindeste missen, die ganze Leidenschaft des parlamentarischen Streites 
warf sich auf die untergeordnete Frage, wie viele Wähler an den 
Gemeinderathswahlen theilnehmen sollten. Hier stürmische Kämpfe um die 
Ministersessel und unwürdige Unterwerfung unter die Allmacht der Prä- 
fekten, dort ein fast kindliches Vertrauen auf die absolute Krone, sehr 
wenig Empfänglichkeit für die constitutionellen Lehren und daneben ein 
helles Verständniß für die Pflichten der Selbstverwaltung: — der ganze 
Gegensatz romanischer und germanischer Staatsgesinnung trat grell her- 
vor. Erst die Zukunft sollte lehren, daß die ruhigere Entwicklung die 
gesündere war. 
Sehr langsam freilich war diese Entwicklung; die Kräfte des Behar- 
reus zeigten sich so stark, daß die Krone vollauf zu thun hatte, nur das 
Errungene zu behaupten. Sie beabsichtigte, da bereits eine gemeinsame 
Gewerbesteuer bestand, nunmehr auch eine Gewerbeordnung für den ge- 
sammten Staat einzuführen; doch als sie die Gutachten der Provinzial-
	        
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