388 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
das unter ein besonderes Ephorat gestellt werden müsse, damit die deutsche
Sprache nicht die Oberhand erlange; die Kenntniß des Griechischen dürfe
man von polnischen Abiturienten nicht verlangen, da man ihnen schon
zwei lebende Sprachen aufnöthige — und was der Thorheit mehr war.
Auf dem zweiten Landtage, im Januar 1830, war die Luft schon schwüler,
man spürte den nahenden Sturm. Die Stände erinnerten den Monarchen
an die Verheißungen vom Jahre 1815, die er doch alle mit peinlicher
Gewissenhaftigkeit gehalten hatte; sie erhoben eine Menge neuer un-
bestimmter Anklagen und verlangten unter Anderem die Beseitigung
eines der polnischen Sprache unkundigen Richters, der in der wesentlich
deutschen Stadt Posen angestellt war — worauf ihnen der König scharf
erwiderte: er werde die Provinz Posen, unbeschadet der Rechte ihrer ver-
schiedenen Volksstämme, „auch ferner nur als einen Bestandtheil seines
Reichs betrachten“ und untersage jede willkürliche Deutung seines könig-
lichen Wortes, jeden Versuch politischer Absonderung.
Dergestalt wirkten die Provinzialstände fast überall nur hemmend,
und wohl nur einmal in diesen Jahren ging ein neuer, ein produktiver
Gedanke von ihnen aus. Die mächtigen Interessen der jungen Groß-
industrie forderten doch gebieterisch ihr Recht. Auf die Bitte der beiden
Landtage des Westens gab der König seine legitimistischen Bedenken endlich
auf und trat in diplomatischen Verkehr mit den neuen Republiken Süd-
amerikas, damit dem rheinischen Gewerbfleiße der wichtige Markt nicht
ganz verloren gehe; seinen Alexander Humboldt aber, den ihm die rhei-
nischen Stände für den mexicanischen Gesandtschaftsposten empfahlen,
meinte er in Berlin besser verwenden zu können. —
Der stille Kampf zwischen den hochconservativen Rathschlägen der
Stände und den freieren Anschauungen der Krone ward um so lästiger,
da er zuletzt die Eintracht der höchsten Behörden selber gefährdete. Im
Ministerium überwog die bürgerliche Gesinnung des altpreußischen Be-
amtenthums. Im Staatsrathe dagegen war durch die Neuberufungen
der letzten Jahre nach und nach eine neue Mehrheit herangewachsen.
Herzog Karl von Mecklenburg, Ancillon, Kamptz, die Generale Knesebeck,
Müffling, Marwitz und die Mehrzahl der Landtagsmarschälle schlossen sich
dem Kronprinzen an. Diese streng aristokratische Partei kam den Wünschen
der Landtage, insbesondere den Bitten der getreuen Kurmark, sehr freund-
lich entgegen, noch freundlicher sogar als die Immediat-Commission, und
da sie schon zuweilen den Ausschlag gab, so entstand allmählich eine
Spannung zwischen den Ministern und dem Staatsrathe.') Die Folge
war, daß die Gutachten des Staatsrathes jetzt noch seltener denn bisher
eingeholt wurden. Nach mannigfachen Streitigkeiten übergab Herzog
Karl als Präsident dem Könige endlich eine förmliche Beschwerdeschrift
*) Müffling an Herzog Karl v. M., 29. Okt. 1827.