14104 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
konnte; Niemand hatte über die Lebensbedingungen einer selbständigen
Unionskirche schon so gründlich und besonnen nachgedacht, wie dieser
Meister der praktischen Theologie, dessen organisatorische Gaben das
Kirchenregiment leider nicht zu benutzen verstand. —
Da die namhaften Widersacher der Agende so über Erwarten schnell
verstummten, so fühlte sich Altenstein wieder vollkommen sicher und
rechnete auf eine lange Zeit ungestörten kirchlichen Friedens. Aber seine
Hoffnung erwies sich nur zu bald als irrig. Erst nachdem die Agende in
der Landeskirche fast überall eingeführt war, versammelten sich die Altluthe-
raner Schlesiens zu verzweifeltem Widerstande, und fast noch ein Jahr-
zehnt hindurch sollte der Minister mit diesen Unversöhnlichen zu ringen
haben. Mittlerweile erhob sich im Schooße der Unionskirche selbst eine
Parteibewegung, welche mit der Zeit den Bestand der Union, den weit-
herzigen, duldsamen Geist der preußischen Landeskirche zu gefährden drohte.
Im Jahre 1827 gründete der Westphale Wilhelm Hengstenberg, erst fünf-
undzwanzigjährig, in Berlin die Evangelische Kirchenzeitung, ein Anhänger.
der unbedingten Autorität in Staat und Kirche, als Gelehrter wenig be-
deutend, aber wie geschaffen zum unermüdlichen Führer einer pfäffischen
Partei, hartherzig, herrschsüchtig, weltklug, aus demselben Holze geschnitzt
wie einst die Ketzerrichter Hogstraten und Torquemada. Als Reformirter
erzogen und in seiner Jugend durchaus weltlich gesinnt, hatte er sich dann
in Basel plötzlich einem strengen Bibelglauben zugewendet und verdammte
fortan Jeden, der von diesen Glaubensformeln nur um eines Nagels
Breite abwich, mit dem Bannfluch „christliche Wahrheit hat er nicht".
Was er christliche Wahrheit nannte, war lediglich eine moderne Form
jener alten Orthodoxie, welche im siebzehnten Jahrhundert das Luther=
thum so tief herabgebracht hatte, versetzt mit einigen pietistischen Ideen,
nur daß die Gemüthsinnigkeit des Pietismus, der ja einst aus dem
Kampfe gegen den Buchstabenglauben erwachsen war, der trockenen Natur
Hengstenberg's nie recht zusagte. Er hatte soeben die Verordnung Alten-
stein's gegen die Separatisten und Mystiker eifrig vertheidigt — in einem
seltsamen Büchlein, das immer wieder auf den Satz zurückkam, die Ratio-
nalisten seien noch weit unchristlicher als jene verworfenen Sektirer — und
trat nachher auch gegen die Altlutheraner auf, weil sie die oberstbischöf-
liche Gewalt des Landesherrn bestritten; aber früher oder später mußte
eine Partei, welche schlechterdings keine andere Richtung neben sich dulden
wollte, selber zur Feindin der Union werden.
Zunächst galt es den Rationalismus zu vernichten, und er war in
der That längst reif zum Untergange. Nur in Halle behauptete er noch
die Alleinherrschaft, in Berlin und Bonn ging ihm der Nachwuchs aus,
da die jungen Talente sich allesammt den Lehren Schleiermacher's und
Nitzsch's zuwendeten. Von allen Seiten her schritten seine Gegner zum
Angriff vor, seit der Leipziger Theolog Hahn zuerst die Behauptung ge-