Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der Generalstab. 423 
der geniale Clausewitz an ihrer Spitze stand. Auch jener leidige Standes— 
übermuth, der in den Zeiten vor 1806 so viel Unfrieden angestiftet, regte 
sich zuweilen wieder. Als Leutnant Blücher, ein Enkel des Feldmarschalls, 
bei einem nächtlichen Liebesabenteuer den Schauspieler Stich niedergestochen 
hatte, hielt der König selbst für nöthig seine Offiziere zu warnen. „Ich 
will nicht,“ schrieb er dem Kriegsminister, „daß die Offiziere meiner Armee 
die Aufrechterhaltung der Würde ihres Standes in der blutigen Erwiderung 
selbstverschuldeter Beleidigungen suchen, sondern ich fordere von ihnen, daß 
sie dieselbe durch ein verständiges und sittliches Betragen und durch Unter— 
lassung von Handlungen bewahren, die nach den Gesetzen der Moral und 
der Ehre gleich verwerflich sind.“) 
Bei Alledem blieb der Kern des Heeres gesund, der Vorrath an 
militärischen Talenten unerschöpflich. So schneidige Reiterführer wie General 
Wrangel ließen, dem Reglement zum Trotz, den frischen wagenden Reiter- 
geist nicht untergehen, und für den Fall des Krieges blickte das Heer zu- 
versichtlich auf zwei Männer, die ihm als seine Feldherren galten: auf 
Gneisenau, den neu ernannten Feldmarschall, und auf Grolman, der 
sechs Jahre nach seiner Entlassung wieder in die Linie eingetreten war, 
nachdem Prinz August und Witzleben den Unwillen des Königs endlich 
beschwichtigt hatten. Unterdessen währte die rüstige Thätigkeit, welche 
Grolman einst im Generalstabe erweckt hatte, auch unter seinem Nach- 
folger General Müffling fort. Der neue Chef unternahm alljährlich 
Uebungsreisen mit seinen Offizieren und veranstaltete umfassende kriegs- 
geschichtliche Forschungen, als deren erste Frucht die Geschichte des sieben- 
jährigen Krieges erschien, eine, soweit die dürftigen Quellen reichten, 
gründliche und unparteiische Arbeit, die Vorläuferin reiferer Werke. Im 
Jahre 1821 wurde der Generalstab vom Kriegsministerium abgetrennt und 
als selbständige Behörde dem Könige unmittelbar untergeordnet. Technische 
Gründe veranlaßten diese Reform, und Niemand ahnte, wie tief sie der- 
einst auf die Verfassung des Staates einwirken sollte: durch sie ward es 
möglich, daß der König von Preußen auch als constitutioneller Herrscher 
der freie Kriegsherr seiner Truppen bleiben und sein monarchisches 
Heer vor den Schwankungen des parlamentarischen Parteikampfes behüten 
konnte. — 
Trotz der allgemeinen Wehrpflicht, trotz der Städteordnung und der 
Provinzialstände blieb Preußen noch immer wesentlich ein Staat des Be- 
amtenthums. Ungeheuer war die Macht dieses politischen Standes; mit 
Einschluß der Offiziere, der Lehrer und der Geistlichen, die nach dem Land- 
rechte noch zu den Beamten gerechnet wurden, umfaßte er nahezu Alles, 
was die Nation an feinerer Bildung besaß, und ergänzte sich beständig 
durch den Zudrang frischer Kräfte aus allen Schichten der Gesellschaft 
  
*) Cabinetsordre an Hake, 9. Okt. 1823.
	        
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