Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

432 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
bereit hielt, aber auch jede tüchtige Kraft mit großherzigem Wohlwollen 
und eindringendem Verständniß unterstützte. Verwöhnt durch die leichte 
Anmuth der Pariser Salons wollte er sich in die Grobheit, in die dürftige 
Enge der Heimath lange nicht finden und seufzte noch nach Jahren: 
„Berlin, ik hev di dick en satt, du bist en blivst en Barenstadt.“ Aber 
vom Tage seiner Heimkehr an war er eine sociale Macht. Er lenkte 
die Blicke des Königs auf alles Neue und Lebendige, was sich in Kunst 
und Wissenschaft regte. Er brachte die verwahrloste, durch den Ueber— 
muth der Speculation fast erdrückte Naturforschung zuerst wieder zu 
Ehren. Sobald er im Mendelssohn'schen Garten, in seinem vielbewun— 
derten eisenfreien Kupferhäuschen seine magnetischen Beobachtungen begann, 
schaarte sich ein Kreis junger Talente — Encke, Dirichlet, Dove — um 
den Meister; Karl Ritter, der junge Baeyer und die anderen Genossen 
der neuen Geographischen Gesellschaft arbeiteten ihm in die Hände, auf 
allen Gebieten der exakten Forschung erwachte ein rühriger Wetteifer. 
Unvergeßlich war der Eindruck, als er gleich in seinem ersten Berliner 
Winter in der Singakademie die öffentlichen Vorlesungen über physische 
Weltbeschreibung hielt, aus denen nachher der „Kosmos“ hervorging, und 
mit genialer Sicherheit, die Träumereien der Naturphilosophen fein und 
scharf zurückweisend, das Programm der rein empirischen Naturbeobachtung 
aufstellte, welche bald alle Lebensgewohnheiten des neuen Jahrhunderts von 
Grund aus umgestalten sollte. So kühn war die gelehrte Zunft in Deutsch- 
land noch niemals auf den Markt hinausgetreten, und nur einem Manne 
von Humboldt's Weltruhm konnte dies Wagniß gelingen. Er zeigte den 
Deutschen zum ersten male, daß die strenge Fachwissenschaft gemein- 
verständlich zu den Besten der Nation zu reden vermochte — zur selben 
Zeit, da Leopold Ranke mit seinem historischen Erstlingswerke den gleichen 
Versuch unternahm. 
Auch die Stellung der Gelehrten in der Gesellschaft ward durch 
Humboldt gehoben — was in diesem Lande der höfisch-bureaukratischen 
danggliederung doch nicht unwichtig war. Schon im Jahre 1822 hatte 
Oken, der sich hier auf seinem eigensten Gebiete ungleich glücklicher be- 
währte als in der Politik, einen deutschen Naturforschertag nach Leipzig 
berufen; auf die erste Versammlung, der nur dreizehn Mitglieder bei- 
wohnten, waren seitdem mehrere gefolgt, und als für den Herbst 1828 
ein neuer Congreß nach Berlin ausgeschrieben wurde, nahm ihn Hum- 
boldt unter den Mantel seines großen Namens. Der Wissenschaft brachten 
solche Wandervereine unmittelbar zwar nur wenig Vortheil — denn in 
der Forschung wie in der Kunst gehen alle schöpferischen Thaten von ein- 
zelnen lichten Köpfen aus —, aber in einer Zeit, da das Reisen noch so 
sehr erschwert war, boten sie manchem tüchtigen Gelehrten, der in der welt- 
fremden Abgeschiedenheit seiner kleinen Universität versauerte, die einzig 
mögliche Gelegenheit, aus der Kleinstädterei herauszuwachsen und mit
	        
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