440 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
der Form verbündeter Kränzchen. In Jena und Halle war sie bald
wieder stärker als alle anderen Verbindungen insgesammt; auf manchen
Universitäten gewann sie erst durch den Reiz des Verbotes größeren An—
hang, und nicht lange, so wurden die verbotenen Farben in Leipzig schon
wieder auf offener Straße getragen. Entsittlichend wirkte der Gewissens—
zwang, den die Regierungen in ihrer thörichten Angst den jungen Leuten
auferlegten. Da jeder Student jetzt auf Ehrenwort geloben mußte, keiner
geheimen Verbindung beizutreten, so beschwichtigten die Einen ihr Gewissen
mit dem Troste, die Burschenschaft sei nicht geheim; Andere beschlossen,
jeder Bursche solle in dem Augenblicke, da er vor Gericht gerufen werde,
stillschweigend aus der Verbindung austreten. Die Verwegensten aber be—
haupteten frischweg: durch den Bruch unseres Ehrenwortes haben wir der
Obrigkeit bereits den Krieg erklärt, folglich sind wir auch zu anderen un—
gesetzlichen Schritten berechtigt.
Die alte Burschenschaft war von Haus aus zu groß, um eine be—
stimmte Gesinnung einzuhalten; jetzt traten die verschiedenen Parteien, die
sich einst in ihr zusammengefunden, allmählich auseinander. Die Christlich—
gesinnten kehrten der Politik den Rücken und begnügten sich mit fröhlicher
Geselligkeit oder mit akademischen Reformbestrebungen. Diesen Arminen,
wie sie späterhin genannt wurden, stand die politische Germania gegen-
über. Wer jetzt noch, inmitten der allgemeinen Abspannung, an politische
Ideale glaubte, verfiel leicht dem Radicalismus, und der erbitternde Druck
der polizeilichen Verfolgung, die aufregenden Nachrichten aus Südeuropa
konnten diese Stimmung nur verschärfen. Auch die Germanen bestanden
in ihrer großen Mehrzahl aus harmlosen jungen Schwärmern, die in
einem Athem ihr angestammtes Fürstenhaus und den Kaiser im Kyffhäuser
priesen. Die alte Kaisertreue unseres Volkes kam eben jetzt durch Rückert's
Barbarossalied und nachher durch Raumer's Hohenstaufengeschichte wieder
in Schwang; hunderte begeisterter Jünglinge wiederholten die Weissagung
des Dichters:
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wieder kommen
Mit ihr zu seiner Zeit!
Aber daneben stieg schon ein modernes Geschlecht empor, das vom
christlichen Mittelalter nichts mehr hören wollte und sich das einige Deutsch-
land nur als ein Glied in dem großen Völkerbunde des befreiten Europas
vorstellte. Im Burschenhause zu Jena führte Arnold Ruge das große
Wort, ein derber, gemüthlicher Pommer voll trockenen Humors und frischer
Lebenslust, viel zu gutherzig, um ohne Noth eine Fliege todtzuschlagen,
und trotz alledem ein Apostel des allgemeinen Umsturzes in Staat und
Kirche. Sein Idcal war „die Anarchie oder Selbstbeherrschung“, die er im
alten Athen zu finden glaubte; nachher hatten nach langen Jahrhunderten