474 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Erleichterung zustehe; nur den beiden kleinen Plätzen Cammin und Kolberg
wurden in einem geheimen Artikel einige Begünstigungen gewährt. Also
hatte man sich für zwanzig Jahre gebunden. Der hohe Zoll (durchschnitt—
lich 1 Proc. vom Werthe der Waaren) wurde durch willkürliche Neben-
abgaben beständig vermehrt; die Stettiner Rheder berechneten 1827, daß
ihnen alljährlich 40,000 Thaler zu viel abgenommen würden. Auf alle
Beschwerden der Großmächte antwortete der kleine Staat mit jener Ueber-
hebung, welche gefallenen Größen natürlich ist. Der Sundzoll war Däne-
marks Goldgrube, die letzte Erinnerung an die Zeiten seiner Großmachts-
stellung; die Patrioten feierten ihn als den Augapfel, den schönsten
Diamanten der dänischen Krone. Die preußischen Ostseeplätze empfanden
den Druck sehr schwer. Vergeblich suchte der König zu helfen, indem er
den Stettiner Kaufleuten für alle übersundischen Waaren Steuererlasse
bewilligte. Der Colonialwaarenhandel der pommerschen Hauptstadt ging
unaufhaltsam zurück, ihre Kaffee-Einfuhr sank seit 1821, in acht Jahren,
von 21,000 auf 8000 Ctr., und bald konnte man den Kaffee in Berlin
wohlfeiler kaufen als in Stettin. Und das Alles mußte man ertragen,
da ein einmüthiges Auftreten der großen Mächte nicht zu erreichen war. —
Noch weit bedenklicher erschien die handelspolitische Lage an der Ost-
grenze. Nach widerwärtigen Verhandlungen waren die drei Theilungs-
mächte stillschweigend übereingekommen den unbedachten Wiener Vertrag
über den polnischen Handel nicht buchstäblich auszuführen.) Preußen
konnte so wenig wie Oesterreich seinen vormals polnischen Landestheilen
seine handelspolitische Sonderstellung einräumen, und Rußland war nicht
gesonnen, das polnische Litthauen mit dem neuen Königreiche Polen zu
einem Zollverbande zu vereinigen. Wie die Dinge lagen mußte man sich
in Berlin schon zufrieden geben, als am 19. Dec. 1818 endlich ein Handels-
vertrag mit Rußland und Polen zu Stande kam, der einerseits dem Durch-
fuhrhandel auf der Weichsel und der Memel große Vortheile, anderer-
seits den preußischen Industriewaaren einige Begünstigungen gewährte. Die
Nationalpartei in Warschau fühlte sich empört; denn obwohl die Ueberein-
kunft als „Zusatzakte zu dem Wiener Vertrage“ bezeichnet wurde, auch einige
verlorene Worte über „das Polen von 1772“ darin standen, so enthielt
sie doch sachlich gar nichts, was die erträumte Wiederherstellung des alten
Polenreiches fördern konnte: die von Rußland gewährten Zugeständnisse
sollten allen preußischen Unterthanen, nicht bloß den Polen zu gute kommen,
und an der Grenze von Posen und Westpreußen galt derselbe Zolltarif
wie in den übrigen preußischen Provinzen. Die Folgen dieser Ueberein-
kunft waren für Preußen recht erfreulich: der schlesische Gewerbfleiß zeigte
sich stark genug die russischen Zölle zu ertragen, der alte Handelsverkehr
des Landes nach Polen hinein begann sich schon wieder zu beleben. Aber
*) S. o. II. 212.