Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kursachsen als Haupt des Lutherthums. 191 
sich zu verständigen suchten. Aber kaum hat der junge Kurfürst die Augen 
geschlossen, so erhebt sich das harte Lutherthum des Hofes, der Landstände, 
der Theologen zu einer blutigen Reaktion; dem Spruche eines böhmischen 
Gerichtes preisgegeben muß der sächsische Kanzler mit seinem Kopfe dafür 
büßen, daß er sich erdreistet hat, das fromme Kurhaus von dem Erzhause 
abzuziehen. Seitdem stehen die Albertiner, den Reformirten tödlich ver— 
feindet, beharrlich im österreichischen Lager; an jedem Sonntag bitten die 
sächsischen Lutheraner ihren Gott, sie zu bewahren vor der Calvinisten 
Teufelskünsten; es kommt so weit, daß der Dresdner Hof ernstlich daran 
denkt, sich der katholischen Liga anzuschließen. 
Als nun der dreißigjährige Krieg hereinbricht — nicht ohne die schwere 
Mitschuld der selbstmörderischen Politik dieses entarteten Lutherthums —, 
da kämpft der mächtigste evangelische Kurfürst nur vier Jahre lang für 
die Sache seines Glaubens. Unter den Jubelrufen der Dresdner Hof- 
prediger wird das Königthum der Pfälzer in Böhmen durch die katho- 
lische Liga niedergeschmettert, mit Sachsens Hilfe unterwirft sich das Haus 
Oesterreich die evangelischen Rebellen in Schlesien, und noch einmal schallen 
durch die protestantische Welt die Zornreden wider den sächsischen Judas, 
als Johann Georg I. durch den Prager Sonderfrieden seine Glaubens- 
brüder preisgiebt und zum Lohne den Besitz der Lausitzen erhält. 
In den großen Katastrophen der Geschichte pflegen Schuld und Ver- 
hängniß sich unzertrennlich zu verketten; dies Fürstenhaus aber verscherzte 
sich allein durch seine eigene Verblendung und Zagheit den ersten Platz 
unter den evangelischen Reichsständen. Der große Kurfürst ward sein 
Erbe, er sicherte im Westphälischen Frieden den Reformirten die Duldung, 
dem Widerspruche des Dresdner Hofes zum Trotz, er übernahm die Füh- 
rung der deutschen Protestanten. Ebenso feindselig wie einst gegen Kur- 
pfalz richtete sich fortan das Mißtrauen der kursächsischen Politik gegen 
den aufstrebenden Brandenburgischen Nachbarn. Und wie die Macht des 
Landes sank, so verknöcherte auch sein Verfassungsleben. Unter Moritz 
und August hatte sich die altständische Libertät einem kraftvollen monar- 
chischen Willen beugen müssen; unter dem schlaffen Regiment der beiden 
Christiane und der vier Johann George reckte sie sich wieder behaglich 
aus. Kursachsen wird das classische Land des altlutherischen Episcopal- 
systems, das in dem Leipziger Benedikt Carpzov seinen wissenschaftlichen 
Verherrlicher fand. 
Unumschränkt schaltete in Staat und Kirche der Lehrstand verschwä- 
gerter und vervekterter Theologengeschlechter; mit ihm fest verbündet der 
Wehrstand, damals wie heute der hochmüthigste Adel des Deutschen Reichs. 
Dem geplagten Nährstande war auferlegt, in der Kirche die Heilswahr- 
heit aus dem Munde der Heiligen des Herrn dankbar zu empfangen, 
dem Staate nach den Beschlüssen des adligen Landtags gehorsam die 
Steuern zu zahlen. Wohl kam das Ansehen der Krone in den größeren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.