Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

550 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
schweig regiert wurde. Da die beiden Landesherren — das Direktorium 
und das Non-Direktorium — sich niemals über einen Beschluß zu einigen 
vermochten, so war seit unvordenklicher Zeit kein Gesetz mehr erlassen 
worden; das Volk lebte in einem beinahe staatlosen Naturzustande, wie 
Rousseau's ursprüngliches Menschengeschlecht, und Kaiser Karl's V. Hoch— 
nothpeinliche Halsgerichtsordnung, die hier noch galt, brauchte nur selten 
angewendet zu werden. 
Diesen unreifen wirthschaftlichen Zuständen entsprach die altväterische 
Handelspolitik, die sogleich nach dem Frieden überall die alten Binnen— 
mauthen wieder aufrichtete und, nach der Gewohnheit wohlhabender Acker— 
bauländer, durch niedrige Zölle die Verzehrung der besitzenden Klassen zu 
erleichtern suchte. Das Welfenland stand den englischen Waaren offen, 
diente ihnen als wohlgelegene Schmuggelstätte für den Verkehr mit dem 
inneren Deutschland. Die Leinenindustrie des Osnabrücker Stifts ging 
fast zu Grunde durch den Wettbewerb der englischen Baumwollwaaren; 
aber die Mehrzahl des Volks war zufrieden, der wohlgenährte Küsten— 
bewohner betrachtete es als sein natürliches Recht, billigeren Rothwein zu 
trinken als der Binnenländer. Das preußische Zollsystem ward allgemein 
als gehässige fiscalische Quälerei verwünscht; nicht einmal den unbrauch— 
baren alten Zwanzigguldenfuß wollte man mit dem preußischen Münz- 
wesen vertauschen. Die Regierung nannte ihr Land gern den deutschen 
Nordseestaat; doch sie erkannte nicht, daß für die deutsche Nordseeküste jetzt 
erst die Zeit des Erwachens gekommen war, während die Handelskräfte 
der Ostsee sich schon vor Jahrhunderten entfaltet hatten. Mit seinen beiden 
großen Emporien Hamburg und Bremen lebte Hannover von Alters- 
her in Unfrieden; alsbald nach der Rückkehr der Welfenherrschaft wurde 
die Pfahlbrücke abgetragen, welche Davoust über die Elbe hatte schlagen 
lassen. Die Häfen an der Ems wollten neben diesen übermächtigen Neben- 
buhlern nicht recht gedeihen; die Regierung that Einiges um ihnen ihren 
Strom schiffbar zu erhalten, aber der unentbehrliche Kanal zwischen Elbe 
und Weser kam nicht zu Stande. Auch für die Eindeichung der Küste 
wurde selbst nach der schrecklichen Sturmfluth von 1825 nur nothdürftig 
gesorgt; niemals ist unter welfischer Herrschaft dem Meere ein so großes 
Gebiet entrissen worden wie der Preußische Polder, den die treuen Ost- 
friesen als ein Vermächtniß ihres großen Königs bewunderten. 
Hannover besaß wie wenige andere deutsche Landschaften das Zeug 
zu einem tüchtigen Bauernstande. Nur in Göttingen und auf dem Eichs- 
felde war der Grundbesitz übermäßig zersplittert: fast überall sonst bestan- 
den stattliche Bauernhöfe, deren Untheilbarkeit meist durch Gesetz, in Ost- 
friesland und den Bremer Marschen durch eine unverbrüchliche Sitte 
gesichert war. Wie der königliche Domänenpächter seine Fuhren nie anders 
als durch Viergespanne besorgen ließ, so lebte auch der Bauer breit und 
behäbig, selbst in der verrufenen Lüneburger Heide gewann er durch die
	        
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