578 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Der lange Friede bewahrte die Städte vor der Versuchung, wieder,
wie im achtzehnten Jahrhundert, durch eine ängstliche Neutralität sich zu
bereichern; aber auch die Zeiten kehrten nicht wieder, da die Hansen ihren
Handel mit ihren wohlbewehrten Friedenskoggen geschützt hatten. Waffenlos
wie sie jetzt waren, außer Stande dem Auslande werthvolle Gegenvortheile
zu bieten, mußten sie durch gewandte, nicht immer würdevolle diplomatische
Verhandlungen um die Gunst der fremden Mächte werben und es ruhig
hinnehmen, daß ein nordamerikanischer Präsident ihnen sagte: die Hanse—
städte sind Hühner, die das Pferd der Vereinigten Staaten nur aus Mit—
leid nicht zertritt. In solcher Lage war das Leben der drei Stadtstaaten
an grellen Gegensätzen überreich. Größe und Kleinlichkeit, Fortschritt und
Schlendrian, Handelsfreiheit und Zunftzwang, Bürgerstolz und Beamten—
willkür, deutscher Sinn und Ausländerei lagen dicht bei einander. Neben
königlichen Kaufleuten und ehrenfesten republikanischen Staatsmännern,
die den Vergleich mit Gerhard v. Attendorn, mit Johann v. d. Wyck und
den anderen Größen althansischer Geschichte nicht zu scheuen brauchten,
gediehen hier auch die dünkelvollen Vertreter eines philisterhaften, aus Welt-
bürgerthum und Pfahlbürgerthum seltsam gemischten Particularismus.
Am lebendigsten war die deutsche Gesinnung in dem aufstrebenden
Bremen, das überhaupt in diesen ersten Friedensjahren rascher und
kräftiger vorwärts schritt als die reichere Schwesterstadt an der Elbe. Die
Stadt war im Mittelalter in ihren nordischen und niederländischen
Handelsbeziehungen ganz aufgegangen und erst durch die Reformation in
die Strömung des nationalen Lebens hineingerissen worden, dann aber
auch mit Heldenmuth für die gemeinsame Sache des Protestantismus
eingetreten. Sie erlangte sodann die Reichsstandschaft durch die Gunst
von Kaiser und Reich, unter beständigen Kämpfen mit Schweden und
Kurhannover, den Rechtsnachfolgern der alten Erzbischöfe. Erst der
Reichsdeputationshauptschluß sicherte ihr die Herrschaft in ihrem eigenen
Mauerring: der kurhannoversche Oberhauptmann zog ab, und der luthe-
rische Dom, der so lange mitten in der reformirten Stadt unter schwedischer
und hannoverscher Hoheit gestanden, wurde dem bremischen Gebiete ein-
verleibt. Diese Händel mit unfreundlichen Nachbarn bestärkten die Bürger-
schaft in der Reichstreue, die ihr schon Friedrich der Rothbart nachge-
rühmt hatte.
Mit heller Freude wurde der Untergang der verhaßten Fremdherr-
schaft begrüßt, und die Wiederherstellung der erprobten alten Verfassung,
der Eintracht vom Jahre 1433 schien Allen selbstverständlich. Der voll-
mächtige Rath, der sich selber ergänzte, führte wieder das Regiment, ver-
pflichtete seine Mitglieder wieder auf den alten niederdeutschen Eid „il
will en recht Radmann sin“ und berief von Zeit zu Zeit, nach freiem
Ermessen eine beliebige Anzahl rechtfertiger Bürger zu wichtigeren Verhand-
lungen. Ward eine Steuer ausgeschrieben, so schätzte jeder Bürger sich