Thiersch und die Gymnasien. 613
nehmens; Lindner, der Vertraute des Stuttgarter Hofes, und der junge
Heinrich Heine wurden mit der Leitung betraut. Aber die Zeitschrift
ging schon nach wenigen Monaten ein, und Lindner fand nachher ein
stilles Unterkommen bei der Bairischen Staatszeitung, wo er dann sein
altes Lied vom „reinen Deutschland“ noch jahrelang, wenig beachtet und
mit gedämpfter Stimme sang.
Mit lebhaftem Eifer betrieb der König die Reform seiner Gymnasien.
Er wollte sie nach dem Muster der sächsischen und württembergischen Ge-
lehrtenschulen umgestalten und die Lyceen, die noch in unhaltbarer Mittel-
stellung zwischen der Universität und dem Gymnasium standen, ganz be-
seitigen. Von Schelling unterstützt entwarf Thiersch einen tief durchdachten
Lehrplan, der die Absicht verfolgte, durch die Einfachheit einer gründlichen
humanistischen Bildung die Jugend zum Können und dann erst zum
Wissen zu erziehen: die Ueberbürdung der Schüler mit verschiedenartigem
Unterrichtsstoffe, die auf den preußischen Gymnasien unter Joh. Schulze's
Leitung schon bedenklich zunahm, sollte vermieden, die geisttödende Plage
der Examina eingeschränkt, die Zahl der Lehrstunden so weit herabgesetzt
werden, daß der Klassenlehrer den Unterricht in allen Hauptfächern zu-
gleich ertheilen, durch die Kraft seiner Persönlichkeit die Schüler geistig
beherrschen könnte.
Als aber diese treffliche Schulordnung erschien (1829), da regte sich
von allen Seiten her ein Widerstand, der nur zu deutlich zeigte, wie
schwer dies neue, von so mannigfachen Interessen bewegte Jahrhundert
sich über die Lebensbedingungen aller Bildung zu verständigen vermochte.
Der Geistliche Rath Schrank und seine Parteigenossen wünschten Rück-
kehr zu der Unterrichtsmethode der Jesuiten, während Paulus' Sophro-
nizon umgekehrt in der neuen Schulordnung hierarchische Hintergedanken
witterte. Das gewerbreiche Frankenland forderte Begünstigung des natur-
wissenschaftlichen Unterrichts, der allerdings in Thiersch's Lehrplane über
Gebühr vernachlässigt war, und als Wortführer dieser Realisten verlangte
Oken kurzweg, der Schüler müsse in „die gesammte Cultur der Welt"“
eingeführt, über Alles was er vielleicht einmal im Leben brauchen könne
zum Voraus unterrichtet werden. Die alten Beamten dagegen fanden
die Anforderungen des Schulplans überspannt. Zentner namentlich, der
alte Professor, sprach — wie so viele Gelehrte, wenn sie ins Geschäfts-
leben übergetreten sind — mit der äußersten Geringschätzung von der Wissen-
schaft; er meinte, der Staat dürfe von der Schule nur verlangen, daß
sie seine künftigen Beamten für die praktischen Bedürfnisse des Staats-
dienstes abrichte. Auch der einflußreiche Cabinetssekretär Grandauer schloß
sich diesen Gegnern an, ein beschränkter Kopf, der gleichwohl verstand sich
dem geistreichen Monarchen unentbehrlich zu machen. Also von allen
Seiten her bestürmt entschloß sich der König schon nach Jahresfrist, durch
eine neue Schulordnung den classischen Unterricht wieder etwas zu