Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Eichendorff. Rückert. 689 
historischen Schriften ganz nach clericaler Weise die Reformation als den 
Quell alles Uebels, die classische Literatur als eine schöne Verirrung, die 
Romantik als die Blüthe deutscher Dichtung darstellte, so klang das Alles 
so ritterlich treuherzig, daß selbst die Gegner ihm nicht zürnen konnten. 
Unvergleichlich reicher war die Gedankenwelt, welche Friedrich Rückert 
als „König eines stillen Reichs von Träumen“ beherrschte. 
Was mir nicht gesungen ist, 
Ist mir nicht gelebet — 
so schilderte er sich selbst. Selten ist ein Dichter so ganz aufgegangen in 
poetischer Beschaulichkeit. Wenn er Stunden und Tage lang unter den 
Blumen seines Gartens umherging oder dem Gesange der Vögel lauschte 
oder sinnend auf der Bank am Weinbergshäuschen saß, dann wurde ihm 
alles Erlebte zum Gedichte, die kleinen Vorfälle im Hause so gut wie 
die großen Kämpfe des Vaterlandes und die Ergebnisse seiner gelehrten 
orientalischen Sprachforschung. Unter der Fülle von Tönen, die also un— 
aufhörlich der „stets gestimmten Leier“ des Improvisators entrauschten, 
war manches leere Reimgetändel und auch die Plattheiten des hausbackenen 
Meistersangs fehlten nicht; erfreulich blieb es doch, wie hier die Welt 
verklärt wurde durch die Weisheit eines lauteren Dichtergeistes, der für 
die Natur nicht gefühlsselig schwärmte, sondern andächtig in und mit 
ihr lebte. In den lachenden Thälern des fränkischen Haßberglandes, so 
recht in Deutschlands warmer Mitte war er aufgewachsen, ein Sohn des 
Dorfs „der unter Kraut und Rube nicht gelernt hat Stadtverstand“. 
Zwei ländliche Patriarchen, der Theolog Hohnbaum und der Freiherr 
von Truchseß auf der Bettenburg führten ihn zuerst auf die Höhen deut— 
scher Bildung. Der gewaltige Recke mit dem starkknochigen ernsten Gesicht 
und der flatternden Mähne fühlte sich nie wohler, als wenn er in der 
Mütze und dem langen groben Rocke des fränkischen Bauersmannes, den 
Knotenstock in der Hand, die geliebte Heimath durchwanderte; so treu wie 
Uhland an Schwaben hing er an seinem Franken. Er hörte wirklich was 
die Schwalbe sang und was die Blätter der Bäume flüsterten; er fühlte 
mit der sterbenden Blume, die am ewigen Flammenherzen der Welt ver— 
glimmt. In ihm lebte noch etwas von dem urkräftigen Natursinne jener 
grauen Vorzeit, da die Germanen einst die Thiere des Waldes in ihren 
Kämpfen und Listen belauschten, und er vergeistigte dies Naturgefühl zu einer 
poetischen Weltanschauung, die man mit Recht als christlichen Pantheismus 
bezeichnete. In allem Geschaffenen sah er die Offenbarung des liebenden 
All-Einen, und jedes Danklied, das aus der Lebenswonne dieser glänzenden, 
duftenden, klingenden Welt emporstieg, war seinem Herzen vernehmlich: 
O Sonn' ich bin dein Strahl, o Ros' ich bin dein Duft, 
Ich bin dein Tropf' o Meer, ich bin dein Hauch o Luft! 
Nachdem Byron's farbenglühende Schilderungen und Goethe's Divan 
den Deutschen die Sehnsucht nach dem Orient geweckt hatten, gab Rückert 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 44
	        
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