Ranke. Die Germanisten. 699
neue Leben der historisch-philologischen Wissenschaften. Als Karl Ritter
nach Berlin kam, wollten sich zuerst keine Zuhörer finden für das un-
bekannte Fach der Geographie; nach wenigen Jahren stand er schon als
anerkannter Meister da. Unter den classischen Philologen erforschte F. G.
Welcker zuerst mit feinsinnigem Verständniß den trilogischen Bau der
Tragödien des Aeschylus, während Lobeck's Aglaophamus mit scharfer,
zuweilen allzu nüchterner Kritik die Wahngebilde der Symboliker zerstörte
und Otfried Müller, den Spuren Niebuhr's folgend, die Verfassungs-
gebilde der Dorier aus den socialen Zuständen des Zeitalters der
peloponnesischen Eroberung erklärte. Im Kreise der Germanisten verloren
v. d. Hagen und die anderen Dilettanten der ersten Lehrjahre allmählich
alles Ansehen. Die strengen Forscher aber hielten zusammen wie eine
gläubige Gemeinde; sie genossen noch die Seligkeit jugendlicher Erkenntniß
und empfanden dankbar, daß die Wissenschaft mehr als die Kunst, die den
Schaffenden so leicht vereinzelt, die Herzen zu verbinden vermag. Der
arme Wilhelm Wackernagel spürte kaum den Frost, wenn er in seiner
ungeheizten Kegelbahn die langen Winternächte hindurch über den alten
Handschriften saß. Freudig arbeitete Einer dem Anderen in die Hände.
Als Uhland das Leben Walther's von der Vogelweide geschildert und nach
Künstlerart die Dichtung aus der Persönlichkeit des Dichters erklärt hatte,
ließ Lachmann bald nachher seine kritische Ausgabe der Werke Walther's
erscheinen und widmete das Buch dem Schwaben. Auch zwei reiche
Sammler halfen mit durch ihre Bücherschätze. Wer die Bibliothek des
Frhrn. v. Mensebach in Berlin benutzen wollte, wurde von dem witzigen
Sonderling unbarmherzig im Lesezimmer eingeschlossen, nur die Gebrüder
Grimm, die unwiderstehlichen hatten freien Zutritt ins Heiligthum. Be-
haglicher lebte und forschte sich's bei dem Frhrn. v. Laßberg auf dem
alten Schlosse Meersburg am Bodensee; dort walteten noch die Gast-
freundschaft und der ritterliche Sinn des Mittelalters.
Im Jahre 1828 vollendete Jakob Grimm wieder eines seiner grund-
legenden Werke, die Rechtsalterthümer. Hier lehrte er die Deutschen
das sinnliche Element ihrer alten Rechtsgeschichte kennen und zeigte
ihnen, wie Uhland dankbar sagte, über dem steinernen Richterstuhl die
blühende Linde. Der Sammlerfleiß, der diese Masse alter Rechtsformeln
und Symbole zusammengetragen, war ebenso erstaunlich, wie die starke
und doch maßvolle Phantasie, welche ein seit Jahrhunderten vergessenes
Recht wieder zu beleben, seine zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen ver-
mochte. Ueberall verrieth sich die Freude an dem frohen, beseelten Leben
des Mittelalters. Wie Grimm der gemeinen Volkssprache und den Volks-
liedern stets den Vorzug gab, so entnahm er auch seine Kenntniß der
alten Rechtsbräuche mit Vorliebe den Weisthümern, jenen Rechtweisungen
aus dem Munde des Landvolkes selber, welche nur den Germanen eigen-
thümlich, ihm als „ein herrliches Zeugniß der freien und edlen Art unseres