718 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
Schiller's Pathos, das seinem eigenen Wesen ferner lag, aber den
gemachten Ruhm Jean Paul's ließ er, unbekümmert um die Stimmung
des Tages, nicht gelten.
Noch fruchtbarer wirkte seine Rechtsphilosophie. Hegel war der erste
politische Kopf unter unseren Philosophen. Wohl hatte schon Kant die
vollkommene bürgerliche Ordnung für das letzte Ziel der Cultur erklärt
und Fichte am Abend seines Lebens den Staat als den Erzieher des
Menschengeschlechts verherrlicht; auch in Schelling's Schriften stand manches
geistvolle Wort über die Harmonie von Nothwendigkeit und Freiheit in
dem Kunstwerke des Staates. Aber sie alle waren nicht über den Vor—
hof der Politik hinausgekommen. Erst Hegel drang in das Heiligthum
selber ein. Er verstand den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee,
als den verwirklichten sittlichen Willen, und stürzte mit einem Schlage
alle die Doktrinen des Naturrechts und der politischen Romantik, welche
den Staat aus dem Urvertrage des Einzelmenschen oder aus göttlicher
Stiftung herleiteten. Also wurde der überspannte Staatsbegriff des
classischen Alterthums neu belebt und dem Staate eine Allmacht zugestanden,
die ihm nicht mehr gebührt, seit die christliche Welt das Recht des Ge—
wissens anerkannt hat. Aber die Vergötterung des Staates stiftete in
diesem Volke, das so lange in der staatlosen Freiheit sein Ideal gesucht
hatte, wenig Unheil. Nur durch die Ueberschätzung des Staats konnten
die Deutschen zur kräftigen Staatsgesinnung gelangen. Erst Hegel hat
die reiche culturfördernde Thätigkeit, welche der preußische Staat längst
schon übte, die Energie des deutschen Staatsgedankens wissenschaftlich
gerechtfertigt, die dürre Rechtsstaats-Doktrin ganz überwunden und dem
Geschichtschreiber einen Maßstab in die Hand gegeben, an dem er die
politische Moral der historischen Helden ohne spießbürgerlichen Kleinsinn
messen konnte. Die jungen Historiker und die Schüler Savigny's wußten
zwar längst, daß der Staat eine uranfängliche, nothwendige Ordnung ist
und nur in ihm die Sittlichkeit der Völker sich vollendet; doch erst durch
Hegel wurde diese große Erkenntniß philosophisch begründet und den Ge—
bildeten der Nation verständlich gemacht. Auch in den Einzelheiten seiner
Staatslehre bewährte sich überall der scharfe politische Blick des Philo—
sophen: er zuerst in Deutschland erkannte, allerdings nur ahnend und
andeutend, daß zwischen dem Einzelnen und dem Staate noch eine eigene
Welt wirthschaftlicher Interessen und Abhängigkeitsverhältnisse liegt, und
nannte sie die bürgerliche Gesellschaft. Und welch ein Verdienst war es
doch, daß ein Schwabe, ein Gelehrter, der an der nationalen Bewegung der
Befreiungskriege kaum theilgenommen, den Deutschen nachdrücklich zeigte,
was sie an Preußen besaßen, warum dieser Staat nicht nur der mächtigste,
sondern auch der edelste und vernünftigste der deutschen Staaten war und
seine strenge Ordnung sittlich höher stand als die gerühmte alte deutsche
Freiheit, die nur „für sich bleiben“ wollte. Mochte auch manche Ueber—