Czar Nikolaus. 727
Berufe, ein unbeliebter, pedantischer Heerführer, im Grunde nur ein Unter-
officier großen Stiles, unvergleichlich in allen Künsten des Parademarsches,
aber weder ein Feldherr noch ein Organisator.
Als er den Thron bestieg, übertrug er die Weltanschauung der Kaserne
unbefangen auf den Staat. Keine Rede mehr von den liberalen Schwach-
heiten des verstorbenen Czaren; schweigender Gehorsam überall; uner-
bittliche Grenzsperre, um das heilige Rußland von den Waaren und den
Gedanken des revolutionären Westens abzuschließen; und überall dieselbe
militärische Ordnung, Alles gleichmäßig wie die Haufen der Chausseesteine,
die, gleich geformt, gleich angestrichen und in gleichem Abstande von den
Werstzeichen, sämmtliche Landstraßen von Warschau bis Tobolsk schmückten.
Durch solche Herrschergrundsätze glaubte Nikolaus wirklich sein Volk zu
beglücken, da er selber von der Welt der Ideen nichts ahnte und nichts
Höheres kannte, als die Ordnung des Exercierplatzes; darum verfolgte er
Alles, was von dieser Regel nur um eines Haares Breite abwich, mit der
Unversöhnlichkeit ehrlichen Hasses. Wenn er in seiner prächtigen rothen
Gala-Uniform einherschritt, festgeschnürt, mit engen weißen Beinkleidern
und hohen Reitstiefeln, erhobenen Hauptes, die längsten Grenadiere noch
überragend, dann bewunderten alle Weiber dies Bild vollkommener männ-
licher Schönheit, und nur sehr selten wagte eine unehrerbietige Schelmin
flüsternd zu bemerken: der schöne Czar scheine doch den bekannten preußi-
schen Ladestock verschluckt zu haben. Dem eigenthümlichen bleiernen Blicke
seiner großen, harten, grauen Augen hielt Niemand so leicht Stand, und
mit unverkennbarer Befriedigung weidete sich der Selbstherrscher an der
Angst der kleinen Sterblichen, die das Zucken seiner herrischen Augen-
brauen nicht ertragen konnten. Der Zauber einer so stattlichen persön-
lichen Erscheinung erwies sich selbst in diesem prosaischen Jahrhundert
noch als ein wirksames Machtmittel; Freund und Feind überschätzte den
Czaren. In den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Regierung haben
von den namhaften Besuchern des Petersburger Hofes wohl nur zwei
hinter der Außenseite des großen Mannes den gewöhnlichen Menschen
erkannt: Wellington und der Deutsche Friedrich v. Gagern. Am richtigsten
beurtheilten ihn vielleicht die preußischen Officiere: wenn er in Berlin
stundenlang mit ihnen nur über Kamaschen und Knöpfe, über Wischer
und Laffetten redete, ohne jemals einen bedeutenden militärischen Gedanken
auszusprechen, dann schüttelten die Einsichtigeren verwundert den Kopf,
aber wer hätte seine Meinung laut zu äußern gewagt?
Was Nikolaus von gemüthlicher Wärme besaß, zeigte sich fast nur
im Verkehre mit seiner edlen preußischen Gemahlin, mit seinem Schwieger-
vater und dem Prinzen Wilhelm. Mit seinem verstorbenen Bruder hatte
er nichts gemein als jenen Zug der Falschheit, der alle Kinder des Hauses
Gottorp auszeichnete, und eine große schauspielerische Begabung. Jedes
seiner Worte und jede seiner Mienen war berechnet. Mitten in seinen