Preußens Haltung. 733
Nikolaus seinen längst gehegten Verdacht gegen Metternich vollauf bestätigt.
In hellem Zorne schrieb er seinem Schwiegervater (16. August): „Ich
schulde Ihnen das Geständniß, Sire, daß ich leider die thatsächlichen Be—
weise dafür in der Hand habe, daß wir, ich sage wir, Sire, auf die
schändlichste Weise von dem Wiener Ministerium verrathen sind. Der
Kaiser ist der Sache fremd, ich will es gern glauben und bin dessen fast
sicher; aber was will das heißen, wenn ein Minister seinen Fürsten bis
zu diesem Grade zu betrügen wagt?“ Darauf sprach er die Absicht aus:
werde der Krieg im Süden unvermeidlich, dann wolle er seine Westgrenze
ganz entblößen und alle verfügbaren Truppen zur Beobachtung von
Galizien verwenden.') Kaum minder unfreundlich äußerte sich Kaiser
Franz über den Czaren. „Wenn Kaiser Alexander noch lebte,“ sagte er
dem preußischen Gesandten, „dann wäre es nie so weit gekommen; ein junger
Fürst, der gleich im Anfang so große Schwierigkeiten glücklich überwindet,
will nachher keinen Rath mehr hören.“““) Die Kluft zwischen den beiden
Kaiserhöfen erweiterte sich von Monat zu Monat. Bald hörte man, daß
nunmehr auch Oesterreich sein Heer zu verstärken beginne. Endlich mußte
der russische Gesandte gar den Kaiser Franz persönlich zur Rede stellen
wegen der geheimen Rathschläge in Konstantinopel; Franz aber leugnete
mit seinem biedersten Gesichte Alles ab. —
Der Friedenspolitik des Berliner Cabinets kamen diese für Preußen
ganz unfruchtbaren und doch so gefährlichen Verwicklungen sehr ungelegen.
Schon im Sommer 1825 hatte der König als leitenden Grundsatz seiner
orientalischen Politik ausgesprochen: der Zeitpunkt für entscheidende Schritte
der Großmächte trete erst dann ein, wenn entweder die völlige Unter-
drückung der Griechen oder ein Unterliegen der Pforte zu besorgen sei't).
Dieser Zeitpunkt war jetzt offenbar gekommen, da die Griechen den Aegyptern
fast erlagen. Die Absicht des Dreibundes, dem Völkermord im Orient
endlich ein Ziel zu setzen, entsprach den Wünschen des Königs; auch die
gemäßigten Friedensbedingungen, welche die Verbündeten zunächst aufstellten,
konnten in Berlin keinen Anstoß geben. Gleichwohl wollte Friedrich
Wilhelm dem Londoner Vertrage nur dann zustimmen, wenn alle fünf
Großmächte sich anschlössen; und da Oesterreich sich versagte, so verweigerte
auch er seinen Beitritt. Er sah mit Besorgniß, daß die drei Mächte in
ihren letzten Absichten eigentlich nur durch gegenseitiges Mißtrauen zusammen-
gehalten wurden#), und hielt es nicht für rathsam, wegen eines Handels,
der Preußens Interesse nicht unmittelbar berührte, die Freundschaft Oester-
reichs zu verscherzen. Darum bemühte er sich noch lange, die beiden Kaiser-
höfe zu versöhnen, empfing im Teplitzer Bade den österreichischen Staats-
*) K. Nikolaus an K. Friedrich Wilhelm 4./16. Aug. 1827.
**) Maltzahn's Bericht, 15. Juni 1827.
***) Lottum an Bernstorff, 24. Juni 1825.
7) Bernstorff, Weisung an Maltzahn, 24. Juni 1827.