Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

766 Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. 
hoben hervor, wieder mit Recht, daß die neuen Bundesgesetze sämmtlich — mit Aus- 
nahme des Gesetzes über die Universitäten — der bairischen Verfassung zuwider liefen. 
Gleichwohl beschloß der Ministerrath, die Karlsbader Beschlüsse zu veröffentlichen, nur 
mit Auslassung der Executionsordnung und mit Hinzufügung des bekannten Vorbehalts: 
„mit Rücksicht auf die Souveränität und nach der Verfassung“ u. s. w. Dies war doch 
sicherlich ein Compromiß. Beide Parteien hatten einen Theil ihrer Absichten durch- 
gesetzt. Rechberg erreichte, daß er wegen der Ueberschreitung seiner Instructionen nicht 
zur Verantwortung gezogen und daß die Karlsbader Beschlüsse im Wesentlichen veröffent- 
licht wurden. Die Verfassungspartei dagegen bewirkte jene Auslassung und jenen Vor- 
behalt; sie erreichte außerdem noch, daß in Baiern die Censur nur für politische Zeit- 
schriften eingeführt wurde. 
Was bedeutet nun die Weglassung der Executionsordnung? Sie war merkwürdig 
als ein Symptom der Verstimmung, die im bairischen Ministerrath herrschte, und ver- 
stieß gegen die in Karlsbad und Frankfurt gegebenen Zusagen, doch sie hatte keinen 
praktischen Werth. Denn die Executionsordnung war nicht ein Gesetz, das durch die 
bairische Regierung ausgeführt werden sollte; sie gab nur dem Bundestage eine Waffe, 
die er möglicherweise gegen Baiern oder gegen einen andern Bundesstaat anwenden konnte, 
aber bekanntlich in jener Zeit niemals angewendet hatj sie bestand zu Recht, sobald der 
Bundestag sie veröffentlicht hatte, und es war rechtlich vollkommen gleichgültig, ob ein 
Bundesstaat die Bekanntmachung des Gesetzes unterließ. Daher hat auch die preußische 
Regierung, die sich so lebhaft über den bairischen Verfassungsvorbehalt beschwerte, über 
die Weglassung der Executionsordnung kein Wort verloren. Jener Vorbehalt freilich 
konnte sehr viel bedeuten, wenn man den verzweifelten Entschluß faßte, ihn im wollen 
Ernst auszuführen. Aber ein solcher Entschluß war offenbar unmöglich, nachdem Baiern 
den Karlsbader Beschlüssen bereits zweimal zugestimmt hatte. Obgleich der Bestand der 
neuen Central-Untersuchungscommission den Vorschriften der bairischen Verfassung un- 
zweifelhaft widersprach, sendete die Münchener Regierung doch sogleich ihren Bevollmäch= 
tigten nach Mainz, und dieser Hörmann wurde, wie Jedermann weiß, der eigentliche 
Leiter der deutschen Demagogenverfolgung. Desgleichen die Beschränkung der Censur auf 
politische Zeitschriften mag immerhin als ein ehrenwerther Beweis bairischer Verfassungs- 
treue gelten. Aber praktischen Werth hatte auch diese Beschränkung nicht. Denn Zentner 
selbst gestand nachher in seiner Denkschrift über die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse 
(28. Mai 1824): „Alle übrigen Schriften und sämmtliche Buchhandlungen unterliegen 
einer strengen Aufsicht der Polizeibehörden, welche in der That eine Censur surrogirt. 
Es geschieht deshalb in Baiern gewöhnlich, daß Schriften, welche gefährliche Lehren oder 
Grundsätze enthalten, sogleich in Beschlag genommen und außer Curs gesetzt werden. 
Auf jede Anzeige, welche vom Ausland oder anderen Bundesstaaten über verdächtige 
Schriften gemacht wird, geschieht sogleich die sorgfältigste Nachforschung und es wird 
die Verbreitung einer solchen Schrift gehindert. Der durch das provisorische Preßgesetz 
bezielte Zweck wird durch diese Maßregel ebenso gut und oft noch besser erreicht als durch 
eine Censur.“ — Naiver ließ sich doch nicht eingestehen, daß Baiern nur den Buchstaben 
nicht den Geist seiner Verfassung wahren wollte. 
Noch in einem Falle weicht Herrn v. Lerchenfeld's Darstellung von der meinigen 
ab. Er erzählt, die Verfassungspartei im Ministerium habe durchgesetzt, daß Zentner, 
nicht Rechberg auf die Wiener Ministerconferenzen gesendet wurde. Zastrow dagegen 
berichtet, wieder nach Rechberg's Mittheilungen: „Graf Rechberg will nicht nach Wien 
gehen, weil es gegen seine Ehre wäre, dort anders zu sprechen als in Karlsbad; auch 
glaubt er von hier aus mehr Gutes stiften zu können, indem er sich dann im Stande 
befinden würde, persönlich auf den König zu wirken und dem Bevollmächtigten in Wien 
die erforderliche Direction zu geben, wogegen er, wenn er sich dort befände, diese Direc- 
tion annehmen und hier demokratisch gesinnten Personen Einfluß einräumen müßte." 
Diesem Berichte bin ich in meiner Darstellung gefolgt, da ich die andere Quelle nicht
	        
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