Herzog Karl in England. 105
schaffen.) König Wilhelm IV. äußerte sich tief entrüstet über den Aufruhr
und die dem welfischen Hause angetane Schmach. Der gutmütige Herr
teilte den Haß seines verstorbenen Bruders gegen Herzog Karl durchaus
nicht, sondern empfing den Flüchtling wohlwollend, als dieser ihn wenige
Tage nach der Landung im Pavillon zu Brighton aufsuchte. Aber wie
aroß war sein Befremden, da er nun den geckenhaften Übermut, die
schamlose Verlogenheit seines Neffen kennen lernte. Karl hatte noch immer
keine Ahnung von dem Ernst seiner Lage; er hoffte bestimmt, durch die
großen Mächte, deren Hilfe er angerufen, alsbald wieder eingesetzt zu
werden, und erzählte seinem Oheim lachend: nur aus Liebe, nur um ihn
im Lande zu behalten und seine längst beabsichtigte englische Reise zu ver-
hindern, hätten ihm die Braunschweiger sein Schloß angezündet.“) Durch
die englischen Minister ließ er sich indes bereden, seinem Bruder, der
ihm über alles Geschehene gewissenhaft Bericht erstattete, mindestens eine
widerrufliche Vollmacht zu erteilen (21. Sept.): Herzog Wilhelm sollte
als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur pro-
visorische Ernennungen vornehmen und an den organischen Gesetzen nichts
ändern.“)
Aber welch eine lächerliche Rolle spielte unterdessen der Bundestag.
Die Abstimmungen über den Bundesbeschluß, welcher den Herzog Karl
zur Anerkennung der neuen Verfassung nötigen sollte, waren noch immer
nicht alle eingelaufen; da kam schon die Nachricht von der Vertreibung des
Bösewichts. Unbeschreiblich war der Schrecken. Alle fühlten, daß Karls
Sturz selbstverschuldet und unwiderruflich sei. Doch so leichthin wollte
OÖsterreich seinen Schützling nicht preisgeben. Die kleinen Höfe, zumal
die weitverzweigte Verwandtschaft des braunschweigischen Hauses, zitterten
vor der Zumutung, daß sie die Revolution anerkennen, das legitime
Fürstenrecht verleugnen sollten. Wirr wogten die Meinungen durchein-
ander, an rasches Handeln war gar nicht zu denken. Die ratlose Ver-
sammlung ermannte sich vorerst nur zu dem Beschlusse, einen Bericht
der braunschweigischen Regierung einzufordern.
Wie hätten die Braunschweiger in solcher Lage nicht die Geduld ver-
lieren sollen? Das aufgeregte Land bedurfte durchaus einer endgültigen
Ordnung. Die Landstände versammelten sich und überreichten dem Herzog
Wilhelm am 27. September eine Adresse, worin sie, nach einer grell gefärbten
Darstellung der Landesbeschwerden, kühnlich aussprachen, er müsse die Re-
gierung übernehmen, weil Herzog Karl „nach den Grundsätzen des allge-
meinen Staatsrechts“ sie unmöglich fortführen könne. Der junge Welfe
*) Minister v. Ompteda an Bernstorff, 14. Sept. Bericht des hannöv. Ministe-
riums an K. Wilhelm IV., 14. Sept. 1830.
**) Bülows Berichte, London 16. 20. Sept. Münster an das hannöv. Ministe-
rium, 5. Okt. 1830.
* ) Vollmacht Herzog Karls für H. Wilhelm, London 21. Sept. 1830.