Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Herzog Karl in England. 105 
schaffen.) König Wilhelm IV. äußerte sich tief entrüstet über den Aufruhr 
und die dem welfischen Hause angetane Schmach. Der gutmütige Herr 
teilte den Haß seines verstorbenen Bruders gegen Herzog Karl durchaus 
nicht, sondern empfing den Flüchtling wohlwollend, als dieser ihn wenige 
Tage nach der Landung im Pavillon zu Brighton aufsuchte. Aber wie 
aroß war sein Befremden, da er nun den geckenhaften Übermut, die 
schamlose Verlogenheit seines Neffen kennen lernte. Karl hatte noch immer 
keine Ahnung von dem Ernst seiner Lage; er hoffte bestimmt, durch die 
großen Mächte, deren Hilfe er angerufen, alsbald wieder eingesetzt zu 
werden, und erzählte seinem Oheim lachend: nur aus Liebe, nur um ihn 
im Lande zu behalten und seine längst beabsichtigte englische Reise zu ver- 
hindern, hätten ihm die Braunschweiger sein Schloß angezündet.“) Durch 
die englischen Minister ließ er sich indes bereden, seinem Bruder, der 
ihm über alles Geschehene gewissenhaft Bericht erstattete, mindestens eine 
widerrufliche Vollmacht zu erteilen (21. Sept.): Herzog Wilhelm sollte 
als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur pro- 
visorische Ernennungen vornehmen und an den organischen Gesetzen nichts 
ändern.“) 
Aber welch eine lächerliche Rolle spielte unterdessen der Bundestag. 
Die Abstimmungen über den Bundesbeschluß, welcher den Herzog Karl 
zur Anerkennung der neuen Verfassung nötigen sollte, waren noch immer 
nicht alle eingelaufen; da kam schon die Nachricht von der Vertreibung des 
Bösewichts. Unbeschreiblich war der Schrecken. Alle fühlten, daß Karls 
Sturz selbstverschuldet und unwiderruflich sei. Doch so leichthin wollte 
OÖsterreich seinen Schützling nicht preisgeben. Die kleinen Höfe, zumal 
die weitverzweigte Verwandtschaft des braunschweigischen Hauses, zitterten 
vor der Zumutung, daß sie die Revolution anerkennen, das legitime 
Fürstenrecht verleugnen sollten. Wirr wogten die Meinungen durchein- 
ander, an rasches Handeln war gar nicht zu denken. Die ratlose Ver- 
sammlung ermannte sich vorerst nur zu dem Beschlusse, einen Bericht 
der braunschweigischen Regierung einzufordern. 
Wie hätten die Braunschweiger in solcher Lage nicht die Geduld ver- 
lieren sollen? Das aufgeregte Land bedurfte durchaus einer endgültigen 
Ordnung. Die Landstände versammelten sich und überreichten dem Herzog 
Wilhelm am 27. September eine Adresse, worin sie, nach einer grell gefärbten 
Darstellung der Landesbeschwerden, kühnlich aussprachen, er müsse die Re- 
gierung übernehmen, weil Herzog Karl „nach den Grundsätzen des allge- 
meinen Staatsrechts“ sie unmöglich fortführen könne. Der junge Welfe 
  
*) Minister v. Ompteda an Bernstorff, 14. Sept. Bericht des hannöv. Ministe- 
riums an K. Wilhelm IV., 14. Sept. 1830. 
**) Bülows Berichte, London 16. 20. Sept. Münster an das hannöv. Ministe- 
rium, 5. Okt. 1830. 
* ) Vollmacht Herzog Karls für H. Wilhelm, London 21. Sept. 1830.
	        
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