126 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Herzog Wilhelm bestellte sich bei dem Heidelberger Juristen H. Zöpfl eine
Schutzschrift über „die Eröffnung der legitimen Thronfolge“; doch der streb-
same junge Mann, der wie Karl Salomo Zachariä seine Rechtsgutachten
jedem Kunden auf den Leib zuschnitt, fiel leider in die alte Vertragslehre
zurück und gelangte zu dem lächerlichen Schlusse: wenn der Fürst ab-
danken könne, so dürfe auch das Volk ihm den Gehorsam verweigern.
Noch unheimlicher ward dem jungen Welfen zu Mute, als ein radikaler
Poet, Walter Berg, in einem Schauspiele „Der Bürger“ ihn selber sagen ließ:
Wir selbst sind erster Bürger unter euch,
Der Bürger ist des Staates Zucht entwachsen!
Es ließ sich doch nicht bemänteln, die Geschichte des Deutschen Bundes
hatte zum ersten Male eine kleine Revolution aufzuweisen. Aber wie ver-
schieden zeigte sich dabei der Charakter der beiden Nachbarvölker. Wie
leicht sprangen die Franzosen, ohne zwingenden Grund, über ihr histori-
sches Recht hinweg, und wie schwer vollendete sich in Deutschland ein
Rechtsbruch, den die unerbittliche Not erzwang! —
Nicht ganz so gewaltsam vollzog sich der Umschwung in Kurhessen.
„Der Kurfürst plündert sein Land und seine Untertanen, so daß es zu-
letzt keine Landeskassen und Domänen mehr, sondern bloße Privat= oder
Kabinettskassen mehr geben wird“— also schilderte der preußische Gesandte
Hänlein das gierige Regiment der Gräfin Reichenbach, das nachgerade
selbst im Auslande Befremden erregte und im Pariser Figaro als ein
deutscher Skandal bezeichnet wurde.*') Der neue Finanzminister Kopp wurde
bei seiner Ernennung ausdrücklich verpflichtet, das Interesse des Kurfürsten
besonders wahrzunehmen, und wie erfinderisch zeigte sich der Landesvater
selber in den schlechten Künsten des Finanzwesens. Während er mit den
Ständen der Grafschaft Schaumburg wegen rechtswidriger Steuererhöhung
einen langen Streit führte, ließ er gegen die Stadt Kassel und andere
Gemeinden unter nichtigen Vorwänden fiskalische Prozesse einleiten; seine
Bauern beglückte er durch die Verordnung, daß der Dünger der Dienst-
pferde, welche die beurlaubten Kavalleristen mit aufs Land nahmen, zum
Besten der Kriegskasse versteigert werden solle. Selbst die Teurung
und die bittere Kälte der ersten Monate des Jahres 1830 mußten ihm
seine Hofkasse bereichern helfen: er maßte sich das Recht des alleinigen
Holzhandels an, verbot die gewohnte Holzeinfuhr aus der hannöverschen
Nachbarschaft und setzte die Preise so hoch an, daß die Kasseler Bäcker
einmal wegen Holzmangels ihre Arbeit einstellten.
Hier wie in Braunschweig stützte sich die Willkür des Kleinfürsten-
tums auf den Beistand Österreichs. Hruby, der k. k. Gesandte, besaß
*) Hänleins Bericht, 20. Febr. 1890.