Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

126 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
Herzog Wilhelm bestellte sich bei dem Heidelberger Juristen H. Zöpfl eine 
Schutzschrift über „die Eröffnung der legitimen Thronfolge“; doch der streb- 
same junge Mann, der wie Karl Salomo Zachariä seine Rechtsgutachten 
jedem Kunden auf den Leib zuschnitt, fiel leider in die alte Vertragslehre 
zurück und gelangte zu dem lächerlichen Schlusse: wenn der Fürst ab- 
danken könne, so dürfe auch das Volk ihm den Gehorsam verweigern. 
Noch unheimlicher ward dem jungen Welfen zu Mute, als ein radikaler 
Poet, Walter Berg, in einem Schauspiele „Der Bürger“ ihn selber sagen ließ: 
Wir selbst sind erster Bürger unter euch, 
Der Bürger ist des Staates Zucht entwachsen! 
Es ließ sich doch nicht bemänteln, die Geschichte des Deutschen Bundes 
hatte zum ersten Male eine kleine Revolution aufzuweisen. Aber wie ver- 
schieden zeigte sich dabei der Charakter der beiden Nachbarvölker. Wie 
leicht sprangen die Franzosen, ohne zwingenden Grund, über ihr histori- 
sches Recht hinweg, und wie schwer vollendete sich in Deutschland ein 
Rechtsbruch, den die unerbittliche Not erzwang! — 
  
Nicht ganz so gewaltsam vollzog sich der Umschwung in Kurhessen. 
„Der Kurfürst plündert sein Land und seine Untertanen, so daß es zu- 
letzt keine Landeskassen und Domänen mehr, sondern bloße Privat= oder 
Kabinettskassen mehr geben wird“— also schilderte der preußische Gesandte 
Hänlein das gierige Regiment der Gräfin Reichenbach, das nachgerade 
selbst im Auslande Befremden erregte und im Pariser Figaro als ein 
deutscher Skandal bezeichnet wurde.*') Der neue Finanzminister Kopp wurde 
bei seiner Ernennung ausdrücklich verpflichtet, das Interesse des Kurfürsten 
besonders wahrzunehmen, und wie erfinderisch zeigte sich der Landesvater 
selber in den schlechten Künsten des Finanzwesens. Während er mit den 
Ständen der Grafschaft Schaumburg wegen rechtswidriger Steuererhöhung 
einen langen Streit führte, ließ er gegen die Stadt Kassel und andere 
Gemeinden unter nichtigen Vorwänden fiskalische Prozesse einleiten; seine 
Bauern beglückte er durch die Verordnung, daß der Dünger der Dienst- 
pferde, welche die beurlaubten Kavalleristen mit aufs Land nahmen, zum 
Besten der Kriegskasse versteigert werden solle. Selbst die Teurung 
und die bittere Kälte der ersten Monate des Jahres 1830 mußten ihm 
seine Hofkasse bereichern helfen: er maßte sich das Recht des alleinigen 
Holzhandels an, verbot die gewohnte Holzeinfuhr aus der hannöverschen 
Nachbarschaft und setzte die Preise so hoch an, daß die Kasseler Bäcker 
einmal wegen Holzmangels ihre Arbeit einstellten. 
Hier wie in Braunschweig stützte sich die Willkür des Kleinfürsten- 
tums auf den Beistand Österreichs. Hruby, der k. k. Gesandte, besaß 
  
*) Hänleins Bericht, 20. Febr. 1890.
	        
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