Die hessischen Bürgergarden. 129
offenbarten hier sehr laut ihr Mißtrauen gegen den Kurfürsten, gegen den
österreichischen Gesandten, gegen die Minister, die allesamt nur für
Geschöpfe der Reichenbach galten. Die Rückkehr dieser tödlich verhaßten
Frau wollte man nimmermehr dulden; auf das Gerücht von ihrem Nahen
strömte eines Tages das Volk in Scharen auf die Arolsener Landstraße
hinaus, um den Weg zu sperren, ihr Bruder Heyer mußte schleunigst aus
seinem Amte entlassen werden. Welch einen kläglichen Anblick bot der
Kurfürst in seiner stumpfen Verzweiflung; er verging vor Sehnsucht nach
der Geliebten und rief jammernd: jetzt weiß ich erst, was ein Aufstand
ist! Die militärischen Schnurrbärte der Kasseler Bürgergarde verletzten
sein heiligstes Gefühl; nun mußte er diesen Unholden aus seinem Zeug—
hause Waffen geben und sogar in einem Manifeste verkündigen, daß er
„den guten Geist und den bewährten treuen Sinn der Hessen mit Wohl—
gefallen erkennend“ überall im Lande die Bildung von Bürgerbataillonen
gestatten wolle. Bald stolzierten in jedem hessischen Städtchen bewaffnete
Bürger umher, alle nach dem Pariser Muster gekleidet, mit der weißen
„Bürgerbinde“ am Arme, und prächtig erklang das Lied zum Preise der
bürgerlichen Waffen:
Sie stehen jedem freien Mann,
Sie stehn dem Kattensohn wohl an!
Der vermessene Plan, dem Kurfürsten selber eine gestickte Bürgerbinde
zu schenken, wurde zum Glück noch vereitelt, da die Hofleute schaudernd
an Ludwig XVI. und die ihm aufgestülpte Jakobinermütze erinnerten.
Indes bekundete sich das Selbstgefühl der Bürgergarde unzweideutiger,
als ihre Waffentüchtigkeit; es war der Fluch des alten Stellvertretungs—
systems, daß die Kriegsspieler sich für besser hielten, als die wirklichen
Krieger. Sie verlangten bei den Paraden stets den Vortritt und ge—
rieten mit den Truppen oft in Händel. Als die beliebte Sängerin Frau
Roller-Schweizer sich einige mehr ehrliche als schmeichelhafte Bemerkungen
über die Leistungen der Bürgerwehr erlaubt hatte, wurde sie ohne Gnade
von der Bühne entfernt, obgleich sie von den Brettern herunter vor
„Kassels hochachtbaren Bürgern“ Abbitte leistete.
Trotz dieser Unzahl von Sicherheitswächtern kam das Land nicht
zur Ruhe, weil die Regierung Kopf und Herz verloren hatte. Das Land-
volk wähnte, mit der verheißenen neuen Freiheit sei auch die Entlastung
des Bodens vollendet; tobende Banden stürmten die Schlösser der Grund-
herren und verbrannten, meist ohne zu plündern, die Zehnten= und
Giltenregister. Am lautesten lärmten diese „Papierstürmer“ in dem
armen Isenburgischen Ländchen auf der Rhön, das seine doppelten Steuern,
für den Kurfürsten und den Standesherrn, kaum noch erschwingen konnte.
Die geängsteten Fürsten des Hauses Isenburg drohten schon sich unter
preußische Landeshoheit zu stellen, damit sie doch Schutz für ihre Habe
fänden. In Hanau wurde das Mauthaus von einem Volkshaufen zer-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 9