Ministerium Lindenau-Zeschau. 153
hatten. Man prahlte mit dem Heldenmute der „sächsischen Julikämpfer“,
der die widerstrebende Krone zur Gewährung der Freiheit fortgerissen
habe. „Alle Bewohner Europas in allen Städten und Dörfern teilen
gleiche politische Gesinnung“ — meinte der Bienenvater Richter — „darum
wurde die große Woche von Paris sofort die von ganz Europa.“ Der
neue weltbürgerliche Radikalismus, der überall in der Luft lag, drang
unmerklich auch in Sachsen ein, und die ausländischen Schriftsteller,
welche sich nach und nach in Leipzig zusammenfanden, nährten ihn ebenso
eifrig wie die polnischen Flüchtlinge in Dresden. Im Erzgebirge war der
Notstand groß, und es zeigten sich schon die ersten Keime sozialen Un-
friedens; die Regierung aber tat wenig, um die Arbeiter vor Ausbeutung
zu schützen, sie stand noch ratlos vor der so plötzlich aufschießenden Macht
der Großindustrie. Die undeutsche Soldatenspielerei der Kommunalgarden
nährte den Übermut der Mittelklassen. Kleine Reibungen konnten nicht
ausbleiben, da die Truppen ihre Meinung über dies Bürgerheer, das
sich gegen die Aufrührer so schlecht bewährt hatte, oft sehr deutlich aus-
sprachen; auf den Exerzierplätzen lautete der schlimmste Tadel: das geht
ja wie bei der Kommunalgarde! Boshafte Märchen kamen in Umlauf,
als der unglückliche Mosdorf in seiner Festungshaft sich erhängte, als der
Bienenvater Richter sein ganz verwildertes Blatt aufgeben mußte und
nach Amerika auswanderte. Die schwarzen Schützen hießen die sächsischen
Prätorianer, und mit unbegreiflicher Gehässigkeit richtete sich das Miß-
trauen des lutherischen Volkes gegen den Prinzen Johann, der seine
Beliebtheit rasch verlor: er sollte durchaus ein Jesuit sein, obwohl man
gerade ihm das Verbot des Jesuitenordens verdankte, er sollte am Hofe
geheime Ränke spinnen — und was der Torheit mehr war. Die Klatscherei
der Philister hatte freies Feld, da eine gebildete liberale Presse hierzulande
noch ganz fehlte, und wenn sich dereinst die rechten Demagogen fanden,
so konnte die kleinliche Verstimmung leicht in wüsten Radikalismus aus-
arten. —
Später als in Kursachsen entbrannte in Hannover der Kampf gegen
die Adelsherrschaft. „Bei uns bleibt alles ruhig, wir haben ja auch
keinen Grund zur Klage“ — so sprach man stolz in den Göttinger Pro-
fessorenkreisen, als die ersten Nachrichten von den Kasseler Unruhen an-
langten. Die von der letzten Mißernte schwer heimgesuchten Bauern
dachten anders; man sah sie häufig auf dem Ti zusammentreten, um über
die Barschheit der Beamten, den Hochmut der Gutsherren, die Zehnten,
die Fronden, die Jagdrechte zu klagen; in einzelnen kleinen Amtsstädten
bildeten die Bürger schon im Herbste Sicherheitswachen, weil sie Angriffe des
aufgeregten Landvolks befürchteten. Der dumpfe unklare Groll bedurfte
eines Namens, dem sich alle Sünden des Adelsregimentes aufbürden
ließen; und dieser Feind ward ihm gewiesen, als gegen Weihnachten 1830