Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

206 IV. 3. Preußens Mittelstellung. 
willen seinen polnischen Besitz behaupten; doch eine neue Teilung Polens 
könne er nicht wünschen, denn „die Verhältnisse der Polen zu den Deutschen 
haben sich sehr verbittert seit jener Zeit vor sechsunddreißig Jahren; sie 
sind unfähig, durch eine sanfte und gerechte Regierung wie die unsrige sich 
leiten zu lassen“.“) Den Westmächten gegenüber schlug Preußen wie 
Osterreich einen stolz abweisenden Ton an. Als Sebastiani die Cholera— 
gefahr zum Vorwande nahm, um daraufhin die Beendigung des Krieges 
zu verlangen, als Palmerston sich erdreistete, die deutschen Mächte an 
Vattels Völkerrecht und die Pflichten der Neutralen zu erinnern, da er— 
widerte Metternich höhnisch: es fehle gerade noch zur Vollendung der all— 
gemeinen Auflösung, daß die englischen Minister sich zu Professoren des 
Völkerrechts aufwürfen, und Ancillon erklärte dem Grafen Flahault, mit 
ausdrücklicher Genehmigung des Königs, rundweg: zunächst müßten die 
Polen sich unterwerfen, dann erst könne von Zugeständnissen gesprochen 
werden.**) 
Die treuen Deutschen an der Grenze dankten dem Könige aufrichtig 
für seine entschlossene Haltung. Sie standen den Dingen nahe genug, um 
die ungeheuere Verlogenheit der aus Warschau verbreiteten Kriegsberichte 
zu würdigen; sie wußten, daß der Kampf in Polen keineswegs ungleich 
war, da die geringe Überzahl der Russen durch die wohlgesicherte Stellung 
der Polen an der Weichsellinie reichlich ausgeglichen wurde. Sie konnten 
nur mit Lächeln das an allen Läden ausgehängte Bild „der letzten Zehn 
vom vierten Regiment“, die nach ununterbrochenem Bajonettkampf den 
Russen entronnen sein sollten, und die schwülstigen Verse Julius Mosens 
darunter betrachten; denn sie hatten mit eigenen Augen gesehen, wie die 
heldenmütigen „letzten Zehn“, noch 1800 Köpfe stark, bei Strasburg 
über die Grenze flüchteten, und das gesamte vierte Regiment vor einer 
Handvoll Preußen ohne Widerstand die Waffen streckte. In Berlin 
aber und den entfernteren Provinzen begann die von Jahn gebrand- 
markte deutsche Fremdbrüderlichkeit bald hohe Wellen zu schlagen. Nicht 
zusällig hatte einst Rousseau unmittelbar vor der ersten Teilung die un- 
vergleichliche Freiheit der Polen verherrlicht. Ein Gefühl der Wahlver- 
wandtschaft verband den modernen Radikalismus mit der sarmatischen 
Adelsanarchie; dazu der Russenhaß und die zauberische Macht der Pariser 
Zeitungsphrase. Eine polenfreundliche Literatur schoß ins Kraut, deren 
Anmaßung nur durch ihre Unwissenheit überboten ward; durch diese 
Polenschwärmer geriet Preußen, das im Herbst 1830 von den Liberalen 
nicht ohne Achtung behandelt wurde, zuerst wieder in Verruf. Da war 
vor allen der aufgeklärte Spazier, der alte Lästerer Goethes, dann die 
  
*) Gneisenau an Bernstorff, 2. Juli 1831. 
**) Sebastiani, Weisung an Mortemart, 15. Mai; Palmerston, Weisung an 
Cowley, 19. Juni; Metternich, Weisung an Esterhazy, 6. Juli; Ancillon, Bericht an 
den König, mit dessen Randbemerkungen, 26. Juli 1831.
	        
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