Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die große Woche der Pariser. 15 
begangenen Unrechts die legitime und konstitutionelle Ordnung auf lange 
hinaus gesichert werden. Aber Treue fand sich nirgends, klarer Entschluß 
nur bei den Männern, welche die Revolution von 1688 zu wiederholen 
gedachten. Das vergossene Blut schrie um Sühne, der wilden Rachgier 
schien die Regierung dieses Königs fortan unmöglich. Da wagten Thiers, 
Mignet und ihre Freunde zuerst, in Flugblättern die Krone für den Herzog 
Ludwig Philipp von Orleans zu verlangen. Hinter ihnen stand ein Un— 
heil verkündender Name, der alte, von den Bourbonen undankbar zurück— 
gesetzte Talleyrand; mit seiner untrüglichen Spürkraft ahnte er schon den 
Umschlag des Wetters und stand unbedenklich bereit, seine Segel wieder 
von günstigem Fahrwinde schwellen zu lassen. 
Herzog Ludwig Philipp hatte sich, solange die Wage noch schwankte, 
im Parke von Neuilly verborgen gehalten und nur durch seine Schwester 
Madame Adelaide, den einzigen Mann der Familie Orleans, mit den 
Sendboten seiner Anhänger unterhandeln lassen. Schwankend zwischen 
Angst und Begehrlichkeit ließ er sich endlich bereden, in die Stadt zu kom- 
men. Dort übernahm er das Reichsverweseramt, das ihm die Kammern 
antrugen, und erschien mit der dreifarbigen Fahne in der Hand auf der 
alten Heimstätte der Pariser Aufstände, auf dem Altane des Rathauses, 
wo er den General Lafayette vor allem Volk umarmte. Nachher gab der 
Held zweier Welten dem neuen Gewalthaber seinen Segen mit dem großen 
Worte: nunmehr ist der Thron von republikanischen Einrichtungen um— 
geben. Dem Könige gingen nun endlich die Augen auf; er ernannte den 
Herzog von Orleans auch seinerseits zum Generalstatthalter des König— 
reichs. Schon Tags darauf, am 2. August, verzichtete er für sich und 
den Dauphin auf die Krone; zugleich befahl er dem Generalstatthalter, 
die Thronbesteigung seines Enkels Heinrich V. zu verkündigen und die 
erforderlichen Anordnungen für die Zeit der Minderjährigkeit des jungen 
Königs zu treffen. Ludwig Philipp aber unterschlug diesen Befehl; er 
teilte der Kammer nur die Abdankung des Königs und des Dauphins 
mit. Von Heinrich V. sagte er kein Wort; die harmlosen Leute sollten 
glauben, daß die Bourbonen ihr Thronrecht aufgegeben hätten. 
So erschlich er sich die Krone durch schlechte Künste und verriet seine 
Vettern, minder ruchlos vielleicht, aber ganz ebenso unritterlich wie einst 
sein Vater den sechzehnten Ludwig verraten hatte. Furcht und Ehrgeiz, 
die beiden beherrschenden Kräfte seines Charakters, wirkten diesmal zu- 
sammen; denn übernahm er nach seiner Fürstenpflicht die Statthalter- 
schaft für den jungen König Heinrich V., so konnte der Haß, der auf dem 
Namen der Bourbonen lastete, leicht auch ihn selber und das Haus 
Orleans vernichten. 
Mit reißender Schnelligkeit eilte nun das Ränkespiel dem Schlusse 
zu; schon am 7. August wurde das Bürgerkönigtum Ludwig Philipps 
förmlich eingesetzt. Währenddem führte der entthronte König selber den
	        
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