Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

236 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland. 
Der beherzte Mann wagte hier zum ersten Male feierlich ein deutsches 
Parlament zu fordern — ein fruchtbarer Gedanke, der jetzt freilich, wie 
alle neuen Ideen, noch in nebelhaft verschwommener Gestalt erschien, aber 
fortan nicht mehr aus dem Leben der Nation verschwinden sollte. Welcker 
verhehlte nicht, daß ihm die Freiheit weit näher am Herzen lag als die 
Einheit der Nation; er fühlte sich tief gekränkt, wenn die französischen 
Blätter von den deutschen Sklaven sprachen, die englischen mit ihrer 
gewohnten Bescheidenheit unser Volk „das niederträchtigste und feigste“ der 
Erde nannten. Er erkannte den unversöhnlichen Widerspruch zwischen der 
absolutistischen Zentralgewalt des Bundes und den Landständen der Einzel- 
staaten, den empörenden Unsinn einer Verfassung, welche der Nation 
jede Einwirkung auf die Leitung ihres Gesamtstaates schlechthin versagte, 
und zog aus alledem den Schluß, daß eine aus den Mediatisierten und 
aus erwählten Volksvertretern gebildete zweite Kammer neben den Bundes- 
tag treten müsse. An die Notwendigkeit einer starken exekutiven Bundes- 
gewalt dachte er noch nicht, am wenigsten an die Hegemonie Preußens, 
das er vielmehr als einen halbfremden, fast feindlichen Staat ansah, seit 
die Berliner Politik der Polenschwärmerei der badischen Liberalen ins 
Gesicht schlug. Auch die böse Frage, wie der vielköpfige Bundestag neben 
einem noch unbehilflicheren Reichstage bestehen sollte, erregte dem ehrlichen 
Schwärmer kein Bedenken. In seinem Parteieifer hatte er dem Antrage 
noch einige völlig törichte Vorschläge hinzugefügt; er meinte, der Unter- 
schied zwischen den absoluten und den konstitutionellen Staatsgewalten 
sei heute weit größer als vormals der Gegensatz der kirchlichen Bekennt- 
nisse, und verlangte daher, daß die Bundesgesandten der konstitutionellen 
Staaten, nach dem Vorbilde des alten Corpus Evangelicorum, eine ge- 
schlossene Körperschaft bilden müßten, mit dem Rechte der gesonderten Ab- 
stimmung, der itio in partes, falls über Verfassungsfragen verhandelt 
würde! Zu solchen Ungeheuerlichkeiten verstieg sich die politische Unreife 
der Zeit: jene unselige kirchliche Spaltung, welche so lange jede Tätig- 
keit der Reichsgewalt gelähmt hatte, sollte jetzt, dem Vernunftrechte zu- 
liebe, auf politischem Gebiete künstlich erneuert werden; und dieser Vor- 
schlag kam aus dem Munde eines Apostels der deutschen Einheit. 
Gleichwohl enthielt Welckers Motion einen gesunden Kern. Die 
Minister bewährten nur von neuem ihre ratlose Schwäche, als sie jede 
Verhandlung über den Antrag verweigerten und schließlich Mann für 
Mann den Ständesaal verließen. Offenbar befürchtete Winter einen 
gemeinsamen Sturmlauf der Landtage wider die Bundesverfassung; denn 
zur selben Zeit beantragte Silvester Jordan in Kassel — sicherlich nach 
Verabredung mit dem befreundeten Welcker — Veröffentlichung der Bun- 
desprotokolle und engere Verbündung der konstitutionellen Staaten am 
Bundestage. Jordans Antrag blieb ohne ernste Folgen, weil die Hessen zur- 
zeit durch ihre heimischen Nöte genugsam beschäftigt waren. Den badischen
	        
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