Nassau. Gärung in Württemberg. 239
treues Volk und drohte die Hilfe des Bundestags anzurufen. Da er
indessen kein gutes Gewissen hatte, so wagte er die Drohung nicht aus-
zuführen und rächte sich nur durch kleinliche polizeiliche Quälereien. Ein
Verein in Wiesbaden, der den Armen bis zur nächsten Ernte billiges Brot
verschaffen wollte, wurde kurzerhand verboten, weil ein Teil seiner Mit-
glieder der liberalen Partei angehörte; und Arnim schrieb traurig: „Mit
welchen Gefühlen gegen seine Regierung, deren Motive er nicht durch-
schauen kann, soll jetzt der arme Tagelöhner sein ihm absichtlich ver-
teuertes Kummerbrot verzehren!“ So flammte hier, dicht vor den Toren
des Bundestages, ein gefährliches Feuer auf. —
Württemberg blieb von parlamentarischen Kämpfen vorerst noch ver-
schont, obwohl der scharfe Luftzug der neuen Zeit auch hier bald empfunden
wurde. Der Landtag war erst im Frühjahr 1830 auseinander gegangen und
brauchte, nach der Verfassung, erst in drei Jahren wieder einberufen zu
werden. König Wilhelm, der sich jetzt für immer einer streng konservativen
Richtung zugewendet hatte, trug auch kein Verlangen, diese Frist zu
verkürzen. Nachdrücklich sprach er aus, daß er die Zeit der allgemeinen
Erregung erst vorübergehen lassen wolle, da das Budget genehmigt, der
Staatshaushalt unter der umsichtigen Leitung des Freiherrn von Varn-
büler in guter Ordnung war und auch sonst kein Anlaß zu eiligen Ar-
beiten der Gesetzgebung vorlag. Für den Fall eines plötzlichen Angriffs
der Franzosen hatte er schon beschlossen, die zu öffentlichen Bauten be-
willigten Gelder zu benutzen.“) So ließ er denn die Verwaltung ruhig
die laufenden Geschäfte erledigen und erfreute sein Land nur einmal
durch eine wohltätige Neuerung. Im April 1831 wurde jene unselige
Verordnung vom Jahre 1829, welche der Landesuniversität ihre alte
Freiheit genommen hatte, aufgehoben: Tübingen erhielt wieder das Recht,
seinen Rektor und seine Dekane zu wählen, eine verständige neue Ver-
fassung stellte die Universität den anderen deutschen Hochschulen gleich.
Durch den heftigen Federkrieg der beleidigten deutschen Professorenwelt
und die Vorstellungen seines Landtags war der König des begangenen
Irrtums inne geworden, und er stand nicht an, den Mißgriff zurück-
zunehmen.“)
Mit solchen Zugeständnissen ward die Gärung keineswegs beschwich-
tigt. Überall im Lande erklang der Ruf nach schleuniger Einberufung der
Stände. Einen bestimmten Zweck verfolgten die Unzufriedenen freilich nicht;
sie wünschten nur, daß die übervollen Herzen sich irgendwie aussprechen
sollten. Der Wahlkampf, sonst so harmlos, ward diesmal sehr heftig;
ein Netz von liberalen Wahlvereinen überspannte das Land. Wie Pilze
schossen die Zeitungen aus der Erde; in Stuttgart allein erschienen ihrer
*) Salviatis Berichte, 5. April, 29. September 1831, 5. Mai 1832.
**) Vgl. III. 351.