Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Paul Pfizer. 257 
Und doch barg dieser süddeutsche Liberalismus, der so blind für 
Deutschlands Feinde schwärmte, eine unverwüstliche Kraft treuer Vater— 
landsliebe. Seine Selbstüberhebung entsprang dem Gefühle der Leere, 
das der Mangel eines großartigen öffentlichen Lebens in einem geistreichen 
Volke erzeugen mußte, seine lärmende Ungeduld der Sehnsucht nach na— 
tionalem Ruhme. In einem Wuste von Torheiten und halbreifen Ein— 
fällen brachte die süddeutsche Presse doch auch einige gesunde Ideen her— 
vor, welche die politische Entwicklung der Nation förderten. Wilhelm 
Schulz, jener hessische Offizier, der einst wegen seiner radikalen Schriften 
den Kriegsdienst hatte verlassen müssen*) und mittlerweile durch ernste 
Arbeit gereift war, versuchte in einem Buche „Deutschlands Einheit durch 
Nationalrepräsentation“ den Grundgedanken der Welckerschen Motion 
deutlicher auszuführen. Er zeigte sich noch keineswegs frei von den Selbst- 
täuschungen des jugendlichen Liberalismus, glaubte fest an die unüberwind- 
liche Macht der öffentlichen Meinung und der kleinen Landtage — falls sie 
nur ihr Steuerverweigerungsrecht rücksichtslos zur Beseitigung böswilliger 
Minister gebrauchten; indessen sah er schon ein, daß ein Parlament neben 
dem Bundestage keinen Platz finden könne, und verlangte darum außer dem 
Reichstage auch eine fester geordnete Zentralgewalt, sei es ein Kaisertum 
oder eine Bundesrepublik. Osterreich ließ er kaum noch für einen deutschen 
Staat gelten, Preußen aber, „dies Deutschland im kleinen“ habe sich 
leider durch seine polnische Politik augenblicklich so verhaßt gemacht, daß 
man vorderhand nur einen konstitutionellen Bund im Bunde bilden 
könne. Also tastend und zweifelnd näherte er sich der Lösung des großen 
Problems. Ahnlich, nur meist noch günstiger für Preußen, sprachen mehrere 
Artikel in Rottecks Annalen und in den staatsrechtlichen Beiträgen des 
wackeren hessischen Liberalen K. H. Hofmann. 
Wie dünn und matt erklangen alle diese Laute unbestimmter Sehn- 
sucht neben den tiefen, ernsten Tönen, welche der junge Paul Pfizer in 
seinem „Briefwechsel zweier Deutschen“ (1831) anschlug — der Prophet 
des neuen preußischen Reiches deutscher Nation, ein echter Schwabe, 
ernst, gedankenreich, voll dichterischer Phantasie und philosophischen Tief- 
sinnes, und dabei nüchtern genug, um das Wirkliche, das Lebendige aus 
der Flucht der Erscheinungen herauszufinden, ohne jeden Vergleich der 
erste Publizist seiner Tage. Sein Buch trug in Form und Inhalt noch 
das Gepräge einer Übergangszeit, die vom literarischen Schaffen zur 
politischen Tat aufzusteigen begann. Durch die freie Bearbeitung philo- 
sophischer Briefe, die er einst mit seinem Freunde, dem Dichter Friedrich 
Notter gewechselt hatte, bahnte er sich erst den Weg zu der Erkenntnis, 
daß die Freiheit, nicht die Notwendigkeit das sittliche Leben der Völker 
beherrsche. Nun erst, im zweiten Teile des Buches, der ihm allein an-
	        
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