Paul Pfizer. 257
Und doch barg dieser süddeutsche Liberalismus, der so blind für
Deutschlands Feinde schwärmte, eine unverwüstliche Kraft treuer Vater—
landsliebe. Seine Selbstüberhebung entsprang dem Gefühle der Leere,
das der Mangel eines großartigen öffentlichen Lebens in einem geistreichen
Volke erzeugen mußte, seine lärmende Ungeduld der Sehnsucht nach na—
tionalem Ruhme. In einem Wuste von Torheiten und halbreifen Ein—
fällen brachte die süddeutsche Presse doch auch einige gesunde Ideen her—
vor, welche die politische Entwicklung der Nation förderten. Wilhelm
Schulz, jener hessische Offizier, der einst wegen seiner radikalen Schriften
den Kriegsdienst hatte verlassen müssen*) und mittlerweile durch ernste
Arbeit gereift war, versuchte in einem Buche „Deutschlands Einheit durch
Nationalrepräsentation“ den Grundgedanken der Welckerschen Motion
deutlicher auszuführen. Er zeigte sich noch keineswegs frei von den Selbst-
täuschungen des jugendlichen Liberalismus, glaubte fest an die unüberwind-
liche Macht der öffentlichen Meinung und der kleinen Landtage — falls sie
nur ihr Steuerverweigerungsrecht rücksichtslos zur Beseitigung böswilliger
Minister gebrauchten; indessen sah er schon ein, daß ein Parlament neben
dem Bundestage keinen Platz finden könne, und verlangte darum außer dem
Reichstage auch eine fester geordnete Zentralgewalt, sei es ein Kaisertum
oder eine Bundesrepublik. Osterreich ließ er kaum noch für einen deutschen
Staat gelten, Preußen aber, „dies Deutschland im kleinen“ habe sich
leider durch seine polnische Politik augenblicklich so verhaßt gemacht, daß
man vorderhand nur einen konstitutionellen Bund im Bunde bilden
könne. Also tastend und zweifelnd näherte er sich der Lösung des großen
Problems. Ahnlich, nur meist noch günstiger für Preußen, sprachen mehrere
Artikel in Rottecks Annalen und in den staatsrechtlichen Beiträgen des
wackeren hessischen Liberalen K. H. Hofmann.
Wie dünn und matt erklangen alle diese Laute unbestimmter Sehn-
sucht neben den tiefen, ernsten Tönen, welche der junge Paul Pfizer in
seinem „Briefwechsel zweier Deutschen“ (1831) anschlug — der Prophet
des neuen preußischen Reiches deutscher Nation, ein echter Schwabe,
ernst, gedankenreich, voll dichterischer Phantasie und philosophischen Tief-
sinnes, und dabei nüchtern genug, um das Wirkliche, das Lebendige aus
der Flucht der Erscheinungen herauszufinden, ohne jeden Vergleich der
erste Publizist seiner Tage. Sein Buch trug in Form und Inhalt noch
das Gepräge einer Übergangszeit, die vom literarischen Schaffen zur
politischen Tat aufzusteigen begann. Durch die freie Bearbeitung philo-
sophischer Briefe, die er einst mit seinem Freunde, dem Dichter Friedrich
Notter gewechselt hatte, bahnte er sich erst den Weg zu der Erkenntnis,
daß die Freiheit, nicht die Notwendigkeit das sittliche Leben der Völker
beherrsche. Nun erst, im zweiten Teile des Buches, der ihm allein an-