Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

258 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland. 
gehörte, stellte er die Frage nach der Zukunft Deutschlands und schilderte 
mit stolzer Zuversicht dies Volk, das mit allen seinen Fehlern doch das 
geistvollste und gemütlichste, das frömmste und gewissenhafteste der Völker 
sei, aber wie der am heimatlichen Strande erwachende Odysseus weinend 
sein Vaterland nicht erkenne. Dies Vaterland der Deutschen, so fuhr er 
freudig fort, sei schon vorhanden in dem Staate Friedrichs des Großen, in 
diesem Staate, der nicht nur durch seine gerechte Verwaltung, seine mensch- 
lichen Gesetze, sein Volksheer, sein gewecktes geistiges Leben, sondern auch 
durch sein starkes Volksgefühl alle anderen deutschen Länder übertreffe. 
Der tapfere Schwabe wagte also den überall als dünkelhaften Parti- 
kularismus verrufenen preußischen Stolz kurzerhand als den größten 
Vorzug der Preußen zu loben, er wagte den undeutschen, atheistischen 
Zug des deutschen Liberalismus, dies schlimme Erbteil der französischen 
Enzyklopädisten, freimütig zu tadeln, die hoffnungslose Ohnmacht der 
kleinen Landtage offen einzugestehen und hielt den gellenden Anklagen der 
Demagogen die harte Wahrheit entgegen: „Weniger die Fürsten als die 
Völker Deutschlands sind das große Hindernis seiner Vereinigung.“ Die 
glücklich gewählte Briefform bot ihm die Möglichkeit, das Für und Wider 
vor den Augen seiner zweifelnden und ringenden Zeit genau abzuwägen, mit 
siegreicher Dialektik alle die Einwände gegen das eine, was not tat, zu 
vernichten: die Träume vom Sonderbunde des sogenannten reinen Deutsch- 
lands so gut wie den schwärmerischen Weltbürgergeist, der die Nationa- 
lität nur für das Ausland gelten lassen wollte. Aus den Gedichten, die 
er seinen Briefen anschloß, sprach die Ahnung einer unermeßlichen Zukunft. 
Er sah im Mondenscheine die Felskegel seiner heimischen Rauhen Alb vor 
sich liegen, er sah die alten Schwabenkaiser vom schlanken Gipfel des 
Hohenstaufen niedersteigen und wendete dann seine Blicke auf den Hohen- 
zollern: 
Doch die Helden sind geschieden, 
Die Vergangenheit ist tot! 
Seele, von des Grabes Frieden 
Wende dich zum Morgenrot, 
Gleich dem Var, der einst entflogen 
Staufens Nachbar und im Flug 
Zollerns Ruhm bis an die Wogen 
Des entlegnen Ostmeers trug. 
Nimmer wollte er von der Hoffnung lassen, daß der Adler Fried- 
richs die Verlassenen, Heimatlosen mit seiner goldnen Schwinge decken 
werde. So schön und tief hatte noch nie ein Deutscher von Preußens 
großer Zukunft gesprochen; neben Pfizers streng politischen Gedanken er- 
schienen Fichtes kühne Weissagungen doch nur wie nebelhafte Gelehrten- 
träume. Und dieser weckende Ruf erklang von den Lippen eines dreißig- 
jährigen Schwaben, der, in den engen Verhältnissen der Heimat auf- 
gewachsen, das preußische Land vermutlich nie betreten hatte. Wie fremd
	        
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