Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Abfertigung der Westmächte. 287 
furt seien die Sechs Artikel einmütig beschlossen, dort möge England seine 
Beschwerden vorbringen, der König von Preußen nehme sie gar nicht an. 
Trotzdem erdreistete sich der Engländer mit dem eigentümlichen Zart- 
gefühle seiner Nation, noch eine Abschrift der Depesche an Ancillon zu 
senden; sofort ward ihm das Schriftstück ungelesen mit einem kurz ab- 
weisenden Briefe zurückgeschickt.') Nunmehr wendete sich Cartwright in 
Frankfurt an die Bundesgesandten und empfing von Münch wie von 
Nagler die schroffe Antwort, daß der Bund sich jede Einmischung des 
Auslandes verbitten müsse. Dem Dresdener Hofe dankte Ancillon warm 
für seine würdige Haltung und fügte hinzu: „Die deutschen Staaten ent- 
zweien, um selbst in Deutschland zu herrschen, das ist immer Frankreichs 
Losung gewesen und ist es heute mehr denn je; denn Frankreich fühlt, 
daß Deutschland, geschlossen, einig und in voller Übereinstimmung unter 
dem Banner des Bundes kämpfend, seinem mächtigen Nachbarn zum min- 
desten gewachsen sein würde.“““**) Metternich aber konnte sich's nicht ver- 
sagen, den englischen Minister, der solches Unterrichts allerdings bedurfte, 
durch eine lange Depesche über die Grundzüge des deutschen Bundesrechts 
zu belehren (31. Okt.), und erließ sodann noch ein Rundschreiben an die 
deutschen Höfe, um sie in ihrer guten Gesinnung zu bestärken. Nichts über- 
flüssiger als diese Mahnung. Dem Auslande gegenüber waren Deutsch- 
lands Fürsten einig; was konnten sie auch von England hoffen? was von 
dem schwächlichen, beständig ums Dasein ringenden Bürgerkönigtum? 
Verbittert wie sie war zeigte die Nation für diese ehrenwerte Hal- 
tung ihres Fürstenstandes gar kein Verständnis. Die Überklugen meinten, 
das alles sei nur ein Gaukelspiel; die meisten sagten: den liberalen 
Westmächten zeigt man die Zähne, vor dem weißen Zaren kriecht man 
im Staube. Von der europäischen Politik hatten unsere liberalen Zei- 
tungen nicht die leiseste Ahnung, obgleich sie den größten Teil ihrer 
Spalten dem Auslande widmeten und sich beständig den Kopf anderer 
Völker zerbrachen; sie redeten nur nach, was die Handlungsreisenden der 
Revolution, die polnischen Flüchtlinge ihnen vorsagten. Darum glaubten 
sie bestimmt, daß Deutschland von den Russen beherrscht werde. Und 
doch hatte der Zar sich von der Beratung der Sechs Artikel ganz fern 
gehalten, da er auf die konservative Gesinnung der deutschen Großmächte 
zählen konnte; er hatte nur einmal durch einen freundschaftlichen Brief 
den König von Bayern zur Bundestreue ermahnt, während die Westmächte 
dem Deutschen Bunde mit schamloser Anmaßung entgegentraten. Auch 
in der großen Politik gab Rußland keineswegs den Ausschlag; bisher 
waren noch alle seine Kriegspläne durch Preußens Mäßigung vereitelt 
worden. Aber die beharrlichen Angriffe der liberalen Presse mußten den 
*) Ancillon an Abercrombie, 24. Sept., an Brockhausen, 24. Sept. 1832. 
**) Ancillon an Jordan, 11. Aug. 1832.
	        
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