Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

306 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
Wache heran, und während des Getümmels versuchten sämtliche Ge— 
fangene auszubrechen. Die betrunkenen Soldaten stürzten an die Gewehre 
und schossen blindlings unter den Haufen; ein Bürger fiel, mehrere 
wurden verwundet. Von den Studenten entkam nur einer, ein anderer 
ward getötet, zwei hatten sich beim Sprunge verletzt, die übrigen wurden 
auf der Flucht wieder eingefangen. Die so schmählich beschämten Frank— 
furter Behörden rächten sich dann durch grausame Mißhandlungen; sie 
ließen den Gefangenen Ketten anlegen, sogar dem armen Eimer, der sich 
das Bein gebrochen hatte und erst nach Monaten wieder gehen lernte. 
Mit Wohlbehagen betrachteten die liberalen Westmächte dies deutsche 
Gezänk. Der Frankfurter Nationalstolz stand gerade jetzt in seiner Blüte. 
Soeben hatte der Senat einen Handelsvertrag mit England abgeschlossen, 
um dem bedrohlichen Fortschreiten des preußischen Zollvereins freundnach- 
barlich einen Riegel vorzuschieben, und von selbst verstand sich's, daß 
Frankfurts uneigennütziger Zollverbündeter nun auch für die Souveränität 
der freien Stadt eine Lanze brach. Der Gesandte Cartwright, das Urbild 
des beschränkten britischen Dünkels, überreichte am 24. Mai dem Präsidial- 
gesandten eine Verbalnote, deren Unverschämtheit sogar in den Annalen 
der englischen Diplomatie ihresgleichen suchte. Sie erklärte: ohnehin 
durch die Wiener Verträge zum Einspruch berechtigt, betrachte England 
„die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit selbst des kleinsten europäischen 
Staates als ein britisches Interesse“ und könne in dem jüngsten Bundes- 
beschlusse nur „eine gewaltsame Verletzung (a violent infringement) der 
Rechte eines unabhängigen Staates sehen“. Nun drängte sich auch Alleye 
wieder vor, ungeschreckt durch die kürzlich erlittene Zurückweisung. Seine 
Verbalnote begann in dem väterlichen, sanft aufreizenden Tone der alt- 
bourbonischen Zeiten: „Die französische Regierung vermag kaum zu glauben, 
daß Souveräne, welche ohne Zweifel auf ihre Unabhängigkeit ebensoviel 
Wert legen wie die anderen europäischen Mächte, den Untergang dieser 
Unabhängigkeit vorbereiten könnten durch einen Präzedenzfall, dessen man 
sich unfehlbar bei Gelegenheit zu ihrem eigenen Schaden bedienen wird. 
Darum ist sie überzeugt, daß die deutschen Fürsten die Augen öffnen und 
sich besinnen werden, bevor sie einen so entscheidenden Schritt tun.“ Zum 
Schlusse stand aber die wenig verblümte Drohung: „Niemals wird Frank- 
reich zugeben, daß man das Recht habe, die deutsche Unabhängigkeit (Tin- 
dépendence Germanique) zu einem leeren Worte zu machen.“ 
Die Westmächte hatten falsch gerechnet; sie hofften ihren Frankfurter 
Schützling in seinem Widerstande zu bestärken und bauten ihm selber nur 
die Brücke zum Rückzuge. Sobald die beiden Noten dem Bundestage vor- 
gelesen waren, sah sich der Vertreter der freien Stadt von allen Seiten 
mit Vorwürfen überschüttet, und Nagler, der Vorsitzende, fragte amtlich, 
ob Frankfurt diese Einmischung des Auslandes veranlaßt habe. Die 
Römerherren erschraken und beteuerten heilig ihre Unschuld. Nagler ver-
	        
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