Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

312 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
griff die Bewegung rasch um sich. Deutsch blieb in dem Grenzlande 
nur die Bundesfestung, dies kleine nordische Gibraltar, das freilich nach 
Gneisenaus Urteil schon damals für die Kriegführung großen Stiles 
wenig mehr bedeutete; das uneinnehmbare Felsennest wurde von der preu- 
ßischen Garnison scharf bewacht und schloß den Aufrührern seine Tore. 
Am 15. Okt. 1830 bat Graf Grünne im Namen des König-Groß- 
herzogs den Deutschen Bund um Hilfe, da schon das ganze Land mit 
Ausnahme der Festung und ihrer nächsten Umgebung in den Händen 
der Empörer sei; zum Troste fügte der luxemburgische Bundesgesandte 
hinzu, daß sein König fortan dem Bunde freundlich entgegenkommen und 
darum den Proviant für die Bundesfestung fortan zollfrei einlassen wolle. 
Über die Rechtsfrage ließ sich gar nicht streiten. Was auch der Wiener 
Kongreß durch seine künstlichen Staatsbildungen, der König der Nieder- 
lande durch seine bundesfeindliche Gesinnung gesündigt haben mochten: 
unzweifelhaft war der Bund verpflichtet, dem bedrängten Bundesgliede 
Beistand zu leisten, gleichviel ob man die Belgier als Empörer oder als 
eine auswärtige feindliche Macht ansah. Rückten schleunig Bundestruppen 
ein, so konnte das Land seinem rechtmäßigen Landesherrn bewahrt, oder 
auch ein Gebietsaustausch, wenn er sich als notwendig erwies, freiwillig, 
ohne Schaden für Deutschlands Ehre zugestanden werden. Das alles war 
so unbestreitbar, daß selbst die Londoner Konferenz bei ihren ersten Be- 
schlüssen die Rechte des Deutschen Bundes auf Luxemburg stets aus- 
drücklich vorbehielt. In Frankfurt aber herrschte ratlose Verwirrung;z alle 
fürchteten durch die luxemburgische Frage in einen Krieg mit Frankreich ver- 
wickelt zu werden. Und fast noch kläglicher verhielt sich die Nation. Unter 
dieser niederländischen Provinz, die doch mit einem Beine im Deutschen 
Bunde stehen sollte, konnte sich niemand etwas Bestimmtes denken, und 
überdies waren die Belgier Empörer, also nach der neuen liberalen Heils- 
lehre jeder Unterstützung würdig. Soweit die öffentliche Meinung die 
Frage überhaupt beachtete, sprach sie sich bald einmütig für den Aufstand 
aus; warme Teilnahme für das Recht des König-Großherzogs zeigten 
nur der Kronprinz von Preußen und der kleine Kreis der strengen Berliner 
Legitimisten. 
Nach langen Erwägungen kam der Bundestag zu der Einsicht, daß 
man den Krieg unter allen Umständen vermeiden, also die luxemburgischen 
Wirren nicht als den Einfall einer feindlichen Macht, sondern als einen 
Aufruhr im Bundesgebiete behandeln und dawider durch Bundesexeku- 
tion einschreiten müsse. Dies gab den erwünschten Anlaß zu neuen Ver- 
zögerungen; nun sollte erst der luxemburgische Gesandte über die Lage 
des Landes ausführlich berichten und dann General Wolzogen selbst hinüber- 
reisen, um ebenso gründlich zu begutachten, wie viele Truppen wohl für 
die Bundesexekution nötig seien. Darüber mußten Monate vergehen, 
und unterdessen, so hoffte man in Frankfurt, konnte der ganze Handel
	        
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