Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

328 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
deutsche Bundespolitik; die europäischen Fragen wurden hier nur beiläufig 
berührt. Nach beendeter Kur kehrte er endlich heim; erst in Berlin empfing 
er die Nachricht, daß der Zar seine dringenden Geschäfte nunmehr abge- 
schlossen habe und in den ersten Septembertagen nach Deutschland zu 
kommen denke. 
Also war, zu Ficquelmonts unverhohlener Befriedigung und wohl 
nicht ohne die stille Beihilfe des Zaren selbst, entschieden, daß der geplante 
Kongreß in zwei Teile zerfallen mußte. Ebenso ungeschickt suchte man die 
fremden Höfe über den politischen Zweck der Zusammenkunft zu täuschen. 
Nesselrode schrieb nach England, dies Wiedersehen der befreundeten Herrscher 
sei nur durch die Herzensbedürfnisse des Zaren veranlaßt; Ancillon ver- 
sicherte den Gesandtschaften, Nikolaus komme lediglich, um seinen geliebten 
Schwiegervater zu begrüßen und den österreichischen Kronprinzen kennen zu 
lernen?) — während doch jedermann wußte, daß der Kanzler Nesselrode, 
Ficquelmont und eine Menge Beamten des Auswärtigen Amts den Selbst- 
herrscher auf seiner stillen Familienreise begleiteten. Begreiflich, daß Pal- 
merston mit gewohnter Grobheit sagte: „Wie können diese Leute sich die 
Mühe geben, solches Blech (stuff) zu schreiben? Es ist, als ob sie uns 
zwingen wollten, ihnen niemals mehr ein Wort zu glauben!“ 
König Friedrich Wilhelm erwartete nunmehr seinen Schwiegersohn im 
Schlosse Schwedt an der Oder. Es schwebte aber ein Unstern über diesem 
so ganz vom Zaune gebrochenen Kongresse. Furchtbare Stürme zwangen 
das Schiff des Zaren, unterwegs in Riga eine Zuflucht zu suchen. Der 
König verbrachte mehrere Tage in tödlicher Langeweile, die nur abends 
durch die tollen Improvisationen des Komikers Beckmann und einiger 
anderen Berliner Schauspieler etwas gemildert wurde; bei dem strömenden 
Regen war selbst das liebliche Versailles der Ukermark ein unleidlicher 
Aufenthalt. Da plötzlich, während alles noch gespannt auf Nachrichten 
von der Küste wartete, rasselte der Wagen des Zaren über die Oder- 
brücke (5. Sept.); er hatte wieder eine seiner beliebten Überraschungen 
ausgeführt und den Weg von Riga zu Lande zurückgelegt. Der Empfang 
war herzlich wie immer. Ein Strom russischer Orden ergoß sich über 
die schwarzen Schwedter Dragoner; hier zuerst gefiel sich Nikolaus in 
jener Ordensverschwendung, welche seitdem von allen Höfen getreulich 
nachgeahmt den Ehrenzeichen allen Sinn und Wert geraubt hat. Mit 
der üblichen amtlichen Glückseligkeit schilderte Ancillon den Gesandten die 
wunderbare Eintracht der Schwedter Beratungen: „der Kaiser hat wieder- 
holt erklärt, daß er dasselbe wolle wie der König und sein Kabinett, daß 
er nichts anderes wolle, daß er weder mehr noch weniger wolle.“) 
Unterdessen äußerte sich Nikolaus zu seinen Vertrauten sehr unzu- 
  
) Ancillon, Weisung an die Gesandtschaften, 7. Sept. 1833. 
**) Ancillon, Weisung an Schöler, 15. Sept. 1833.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.